24 Dezember 2023

Litauen - was war das noch genau?

Es ist noch nicht so lange her, dass Deutsche, egal ob im Osten oder Westen aufgewachsen, die drei baltischen Staaten nicht auseinanderhalten konnten: Hauptstadt von Litauen? Riga? Unsichere Rückfragen waren die Antwort. 

Heute, Ende des Jahres 2023, drohen die Potentiale Litauens wieder zu verschwimmen - ausgelöst von Putins gewaltsamen Agressionen gegen die Ukraine. Aber selbst wenn wir sicher sind, wer und was der Auslöser ist - diese Dominanz des Militärischen ist nur allzu bedauerlich. Einige von denen, die vor 10, 20 Jahren noch gar nicht wissen wollten, wo Litauen genau liegt meinen heute die Befindlichkeiten einschätzen zu können - sie vermuten, dass die Litauerinnen und Litauer vor allem froh seien, Mitglied der NATO zu sein.

Deutsche schicken zum Jahresende "Weihnachtsgrüße an Soldaten im Ausland" (SWR), und meinen damit auch Litauen. Litauer reparieren deutsche Panzer (Merkur) und freuen sich, dass die deutschen Soldaten bald kommen (Regionalheute). Zitiert werden litauische Aussagen wie diese: „Kein anderes Nato-Land leistet an der Ostflanke so viel wie Deutschland“ (RND). Eine "deutsche Kampfbrigade" wird als "Jahrhundertprojekt" (t-online) ausgerufen - was bedeuten würde, dass die deutsche Sicht auf Litauen nun auf Jahrzehnte (militärisch) verstellt sein würde. Wer es richtig "martialisch" mag, liest bei "3sat" nach: dort stellen die baltischen Staaten inzwischen "drei Stacheln im russischen Fleisch", und Litauen besteht hier aus einer unablässigen Folge militärischer Aktivitäten. 

Auch die finanzielle Seite wird immer wieder erwähnt: Deutschland stellt ein "Sondervermögen" (sprich: Schulden mit Deckname) bereit, müht sich aber - im Gegensatz zu Litauen - mit dem allseits diskutierten "2%-Ziel" ziemlich ab (= Anteil vom Bruttoinlandsprodukt, siehe "Tagesschau"), 2019 waren es auf deutscher Seite lediglich 1,2%. - Die deutsche Presse aber sorgt sich, ob Litauen die Stationierung "einer zweiten Armee" (so bezeichnete es Verteidigungsminister Anušauskas), also 5.000 deutsche, neben den eigenen 15.000 litauischen Soldaten, auch leisten kann. Derweil reformiert Litauen die Wehpflicht, auch ein Studium kann jetzt kein Grund mehr für eine Verschiebung sein (LRT)

Tja, somit können wir uns also vorstellen, woran Deutsche gegenwärtig denken, wenn das Stichwort "Litauen" fällt. Wohl nicht mehr zuerst an das Sommerhaus von Thomas Mann, zum Beispiel. Und es wird nicht besser, wenn wir mal vom Militärischen absehen. Immer noch irrlichtert die alte Legende durch die deutschen Medien, fast alle gestohlenen Autos würden irgendwann in Litauen landen (siehe "Die Zeit") Und es gibt inzwischen nicht nur Sorgen, über Belarus würden absichtlich Flüchtlinge nach Litauen und somit in die EU geschleust werden - es gibt auch angeworbene litauische Schleuser, die zum selben Zweck, mit nebulösen Versprechungen gelockt, in anderen osteuropäischen Ländern aktiv sind (Grenzecho)

Also: was sind die wichtigsten Schlagworte für Deutsche in Bezug auf Litauen? "Gefechtsbereit"? Es kingt wie eine seltsame Musik aus der Ferne, wenn wir uns erinnern, dass die Litauen-Werbung mal von Vilnius als "G-Punkt Europas" sprach (Blogbeitrag). Das war 2018. Inga Romanovskienė, bis vor kurzem noch Leiterin des Stadtmarketings von Vilnius, verteidigte den Slogan unter anderem mit dem Argument, in Deutschland habe man durch Umfragen festgestellt, nur 40 bis 50 von 1000 Menschen wollten überhaupt wissen, was Vilnius ist und wo es liegt. Ihr Ausruf damals: "wir haben nicht mal theoretisch die Chance, irgendein Image zu beschmutzen, denn wir haben überhaupt keins!" (eurotopics / madeinivilnius). 

Nein, die deutsch-litauischen Beziehungen werden andere Anknüpfungspunkte brauchen. Auch wenn Putin uns zu weiteren militärischen Anstrengungen zwingt. Immerhin registrierte ein einzelner Beitrag in der Berliner Zeitung (3.12.23) auch mal Litauen als "unterwegs ins Wirtschaftswunder" - abseits vom deutschen Medien-Mainstream. Zitat: "In für deutsche Verhältnisse erstaunlicher Geschwindigkeit werden da Straßen gebaut, Netze gelegt und öffentliche Nahverkehrsverbindungen eingerichtet. Die vollen Parkplätze zeigen zudem, dass es genügend Arbeitskräfte gibt. Das eine bewirkt das andere. Die Löhne steigen – und damit auch, derzeit, die allgemeine Zufriedenheit." Ein Stimmungsbericht, ausnahmsweise mal nicht aus irgendwelchen Kasernen. Aber Litauen, das sind auch nicht nur ökonomische Statistiken. Ich denke, Litauen ist mehr. 

Empfehlenswert zu lesen sind zum Beispiel die Aussagen von Laurent Le Bon, Chef des "Centre Pompidou" in Paris, über seine Litauen-Erfahrungen. Da finden sich Aussagen wie diese: "Litauen einfach als baltischer Staat zu präsentieren, ist ein Fehler!" (LRT) Litauen habe eine spezielle Identität aufzuweisen, die sich auch von den beiden "baltischen" Nachbarn unterscheide. Also: lesen wir nach, und schauen wir vor Ort mal nach!

06 Januar 2023

Brüder oder Konkurrenten?

Zu Jahresanfang 2023 gibt es erstaunliche Erkenntnisse beim nördlichen Nachbarn Litauens; in der lettischen Zeitschrift "IR" setzt Journalist Roberts Mencis zu einer Art "Lobeshymne" für Litauen an. 

Schon lange bekannt seien ja schon die Argumente, warum Estland weiter entwickelt sei: die Esten hätten eben schon zu Sowjetzeiten immer finnisches Fernsehen schauen können, und hätten dann eben weitsichtig die Chancen der Digitalisierung genutzt. 

Nun aber habe offensichtlich im vergangen Jahrzehnt auch das "Brudervolk" Litauen dem nördlichen Nachbarland in vielen Punkten den Rang abgelaufen. Das zeige schon die Hauptstadt: Vilnius wächst, und wird in wenigen Jahren die Bevölkerungszahlen von Riga wohl übertreffen (Beitrag)

Mencis hat einige Zahlen zusammengestellt. Eigentlich habe ja die Weltwirtschaftskrise 2009 / 2010 damals Litauen eigentlich noch härter getroffen als Lettland. Aber: seit damals habe in Litauen stetiges Wirtschaftswachstum begonnen, zuletzt zwischen 2017 und 2021 jedes Jahr um 4%. Und der Export des produzierenden Gewerbes, also zum Beispiel Möbel, Mineraldünger, Lebensmittel, Holz und chemische Produkte, der 2010 34% des Warenexports Litauens ausgemacht habe, läge heute bereits bei 50%.

Sogar die verschiedenen Krisen des vergangenen Jahrzehnts hätten eher dazu beigetragen, bestehende Absatzmärkte zu erweitern. Nach der russischen Annexion der Krim veranlassten von Russland verhängte Handelsbeschränkungen für bestimmte litauische Waren die Hersteller, die Exportmärkte zu diversifizieren und sich stärker auf die Produktqualität zu konzentrieren. So sei es litauischen Herstellern wie z.B. "Vilniaus Baldai" oder der VMG-Gruppe zum Beispiel gelungen, IKEA zu beliefern und so Litauen zum viertgrößten Möbelhersteller der Welt zu machen. Und sogar während der Pandemie gab es gute Beispiele: durch die Beteiligung des Unternehmens "Thermo Fisher Scientific Baltics" (eine Tochtergesellschaft des US-Unternehmens Thermo Fisher Scientific“) am Impfstoffproduktionsprozess habe sich der Export von chemischen Produkten verzehnfacht. (siehe auch: Invest Lithuania)

Auch das Gesamtvolumen der litauischen Dienstleistungsbranche sei im letzten Jahrzehnt von rund vier Milliarden Euro auf aktuell fast 13 Milliarden Euro gewachsen - mehr als die Hälfte davon entfallen auf Transportdienstleistungen. Bis 2014 war Russland der größte Markt dieser Branche, dann wurde der Umsatz aber fast vollständig nach Westen umorientiert, wodurch sich beispielsweise das Unternehmen Girteka Logistics zum größten Straßentransportdienstleister Europas entwickeln konnte. Allerdings musste Litauen auch bei den Arbeitsbedingungen der Fahrer/innen nachbessern.

"Litauen hat außerdem viel für die Digitalisierung und die Modernisierung von Produktionsanlagen getan, und auch der Hafen von Klaipeda hat sich neu positioniert," sagt Vidmantas Janulevičius, Präsident des Verbandes der litauischen Industrieverbandes. (IR) So betrug der Frachtumschlag in Klaipeda 2010 noch 31 Millionen Tonnen, und lag damals in etwa auf dem Niveau des Hafens in Riga. 2021 stieg die Zahl aber bereits auf 45 Mill. Tonnen, was damit höher liegt als der Gesamtumsatz der drei größten lettischen Häfen zusammen (2022 dann etwas beeinträchtigt durch Sanktionen gegen Russland, Belarus und China).

Janulevičius meint aus seiner Sicht, Litauen sei es eben gelungen lebensfähige Industrieunternahmen zu erhalten, während Lettland viel auf Finanzdienstleistungen setzte und auch zwischenzeitlich Nutzen zog aus dem "grauen Markt", also halblegalen Investitionen von russischer Seite."Wir haben auf die Stärkung eines transparenten, auf Recht und Gesetz basierenden tranparenten Geschäftsumfelds gesetzt," so Janulevičius. (IR

Für die Ölraffinerien, die Möbel- und Mineraldüngerproduktion Litauens sei es seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion leichter gewesen, den Qualitätssprung hin zu westlichen Produkten zu schaffen, heißt es. Aber in Lettland stellten große Industrieunternehmen, wie beispielsweise im Elektroniksektor, ihre Arbeit fast vollständig ein. Da gab es einfach auch die große Konkurrenz mit Japan oder Korea auf dem Markt.

Pēteris Strautiņš, Chefökonom bei der Bank "Luminor", schreibt außerdem einer aus Sowjetzeiten übrig gebliebenen lettischen Elite eine gewisse Rolle bei der Entwicklung zu. "Da waren einige loyaler gegenüber Moskau als zum eigenen Staat," meint er (IR). Nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit sei eine ganze Reihe von Betrieben von ihrem damals bestehenden Management übernommen worden - und diese seien eben in Litauen weniger "sowjetisiert" gewesen. Zum Beispiel habe es Möbelindustrie ja auch in Lettland gegeben - aber diese sei inzwischen fast völlig verschwunden. 

"Die demografische Struktur Lettlands trug zur Bildung eines politischen Parteiensystems bei, in dem die ethnische Spaltung zum bestimmenden Faktor wurde," so so sieht es der lettische Ökonom Edmunds Krastiņš. "So war hier die Konkurrenz zwischen westlich orientierten Parteien schwächer als in Litauen und Estland, was zu einer Machtkonzentration im Kreis enger Interessen führte. Durch die Prägung der sowjetischen Besatzung entstand eine gewisse Rhetorik, dass die Zukunft der lettischen Wirtschaft eine Brücke zwischen Ost und West sein solle. Das hat eine ziemlich ausgeprägte Ausrichtung auf Russland geschaffen, im Gegensatz zu Estland, das sich an den nordischen Ländern und auch an Litauen orientiert hat“, sagt Krastiņš.(IR)

Auch das gegenwärtige Wachstum der litauischen Hauptstadt Vilnius sehen die Ökonomen vor diesem Hintergrund. Seit 2018 sei auch die Bilanz der Arbeitsmigration in Litauen wieder positiv - es kommen mehr nach Litauen als Menschen ausreisen.

Dennoch, der Satz "die Litauer sind unsere Brüder" sollte Bestand haben. Als Ex-Ministerpräsident Skvernelis 2019 mal die Bemerkung rausrutschte "die Letten sind nicht Brüder, sondern Konkurrenten auf verschiedenen Gebieten, besonders der Wirtschaft" beeilte sich sogar der so Zitierte, das schnell wieder zu korrigieren (er sei von der Presse verzerrt wiedergegeben worden). Und TV-Journalist Andrius Tapinas widmete Lettland "zum Trost" eine ganze Ausgabe seiner Show "Laikykites Ten" ("Haltet durch") nach dem Motto: "kümmert euch nicht um Skvernelis, er noch jung, er muss noch lernen." Aber eine kleine Bitte hat Tapinas, in aller gebotenen Ironie, denn doch: Litauen habe 99km Küstenlinie; gerne würde Litauen daraus eine runde Zahl machen - ob Lettland nicht vielleicht einen Kilometer abgeben könne?

04 November 2022

Vilnius first!

Bei Aufzählungen in deutscher Sprache landet das Land oft an dritter Stelle: Estland, Lettland, Litauen. Und auch Riga wurde schon öfters für die Hauptstadt Litauens gehalten als anders herum. 

Wie das litauischen Nachrichtenportal LRT meldete, sei nun aktuell durchgezählt worden: amtlich bestätigt seien es in Vilnius 615.242 Einwohnerinnen und Einwohner, in Riga seien aber nur noch 605.802 Menschen gemeldet. Damit habe sich der Trend bestätigt, der bereits seit etwa 10 Jahren zu beobachten gewesen sei. Auch Remigijus Šimašius, Bürgermeister von Villnius und nach eigener Aussage "passionierter Denker und Macher", habe das bereits auf seiner Facebook-Seite bestätigt. 

Noch aber wird an diesen Zahlen gezweifelt. Quellen sind teilweise Einwohnermeldeämter, andere Zahlen stammen von Statistikinstituten. Laut litauischem Statistikamt liegt die Einwohnerzahl von Vilnius erst bei etwa 576.000 Menschen. Als Mensch mit ständigem Wohnsitz in Vilnius seien alle gezählt worden, die mindestens seit 12 Monaten in der Stadt leben. 

Auch die lettische Presse hat das Thema aufgenommen, und zumindest den Trend als korrekt bestätigt: Schätzungen von Fachleuten zufolge wird, wenn die Entwicklungstrends in beiden Städten so weitergehen, Vilnius im Jahr 2025 größer sein als Riga. Aber gegenwärtig liege die Einwohnerzahl in Vilnius eben doch nur bei 552.787 Menschen, während die Zahl 605.802 als Einwohnerzahl von Riga auch von lettischer Seite bestätigt wird. Und angesichts des Zustroms ukrainischer Flüchtlinge sei der Bevölkerungsrückgang in Riga höchstwahrscheinlich vorerst gestoppt. (nra)

Aber wie Analysen bestätigen, geht die Bevölkerung Rigas beständig zurück, die Sterblichkeit übersteigt die Geburtenrate, und es ziehen mehr Menschen weg als es Neubürger/innen gibt. Wer eine Familie gründe, der tue es lieber außerhalb von Riga - nach Vilnius dagegen ziehen auch viele jüngere Leute. (Makroekonomika)

In einem Kommentar zum Thema meint der lettische Journalist Bens Lakoviskis, eine typischer Schilderung in den sozialen Medien lese sich in etwa wie folgt: "Geschäftsreise nach Vilnius: - beim Betreten fühlt man sich wie in einer Großstadt; das Zentrum wimmelt von Touristen; alles ist aufgeräumt; die Preise für Essen ähneln dem lettischen Niveau, Bier ist billiger - und rings herum Neubauten." Da hinke Riga doch wirklich hinterher. Und wer von Riga aus nach Tallinn fahre, der fühle sich sowieso wie jemand der in eine Zeitmaschine gestiegen sei. (NRA)

"Vilnius will die Metrople der gesamten baltischen Region werden!" - solche Schlagzeilen rufen die Trends des schrumpfenden Riga und wachsenden Vilnius schon seit einigen Jahren hervor. Nach Meinung lettischer Journalisten liegt es eben daran, dass Lettinnen und Letten eher im "Speckgürtel" rund um Riga leben und dort hinziehen - Litauerinnen und Litauer aber zunehmend ein Leben direkt in der Hauptstadt suchen (jauns). Zahlenmäßig ist Vilnius also - Stand heute - noch nicht größer als Riga. Aber dass Bürgermeister Šimašius Gegenteiliges als Gezwitscher verbreitet - es folgt wohl den gesellschaftlich inzwischen verankerten Kommunikationswegen. Ganz nach dem Motto: ein bischen Wahres ist tatsächlich dran.

20 Oktober 2022

Wer ist Litauisch?

Bezüglich Litauen müssen wir uns wohl an neue Verhältnisse gewöhnen. Waren es bisher schöne Erlebnisse auf der Kurischen Nehrung, das Sommerhaus von Thomas Mann, die Geschichten der "Wolfskinder" oder vielleicht die polnisch-litauische Vergangenheit der Hauptstadt Vilnius, die uns bewegten, so sind nun neue Themen eingekehrt. Auch die Europäische Kulturhauptstadt Kaunas hätte sich natürlich in diesem Jahr einen großen Zuspruch und viele Besucherinnen und Besucher für ihr vielfältiges Kulturprogramm gewünscht.

Aber nein: da fällt es dem großen Nachbarn im Osten einfach mal ein, dass sie dringend gewaltsam Grenzen ändern wollen, damit das frühere Großmacht-Herrschergefühl sich wieder einstellen möge. Nun also ist zumeist von Militärischem die Rede, wenn in der deutschen Presse etwas von Litauen zu lesen ist. Und es gibt nicht einmal Grund zur Beschwerde (bei Putin ist die Beschwerdeannnahmestelle ja offenbar seit langem geschlossen). Litauen fühlt sich mit Recht erinnert an ähnliche Situationen in der Geschichte des eigenen Landes, als das Land zunächst militärisch besetzt wurde und dann diejenigen, die noch nicht tot oder geflohen sind, über die "Zukunft ihres Landes" abstimmen sollten. 

Man mag darüber lächeln, wenn Länder wie Litauen, ähnlich wie die baltischen Nachbarn, nun sogar Denkmäler beseitigen - es wird aber nicht der entscheidende Punkt werden im Verhältnis zwischen den "Balten" und den Russen. Auch das gesellschaftliche Kräfteverhältnis ist dabei, sich neu zu sortieren - bei wem bisher moderate Russland-Freundlichkeit anzutreffen war, entwickelt sich heute Putin-Treue. 

So wie mit Adolfas Kaminskas zum Beispiel. Der Name steht offenbar akuell für die vielfachen Verknüpf-ungen Litauens mit Russland. 2019 heiratete er seine Frau Yelena, geborene Shebunova. Das brisante dabei: sie ist die Ex-Freundin des aktuell amtierenden russischen Verteidigungsministers Sergei Shoigu - und aus dieser Verbindung stammen zwei außereheliche Kinder, Sohn Danila und Tochter Daria, geboren 2001 und 2008. 

Adolfas Kaminskas, bis dahin offenbar Verkäufer von Mopeds und Autoteilen in Vilnius, steht wohl auch wegen seinem plötzlichen Reichtum aus ungeklärten Quellen im Fokus der Ermittler. Er hatte nach seiner Heirat einen Antrag an die litauischen Behörden gestellt, und die beiden von der Frau in die Ehe eingebrachten Kinder als litauische Staatsbürger registrieren lassen. Nun haben die litauischen Behörden aber im Sommer 2022 Jelena (auch Yelena / Elena) Kaminska die Aufenthaltsgenehmigung für Litauen entzogen - sie stelle wegen ihrer intensiven Beziehungen nach Russland eine Gefährdung der Sicherheit dar und wurde zur Persona non grata erklärt.

Jelena Kaminskas (geborene Szebunowa), früher mal als Flugbegleiterin tätig, war seit 2017 im Besitz einer zeitlich begrenzten Aufenthaltserlaubnis für Litauen gewesen. Adolfas Kaminskas seinerseits hat in diesem Frühjahr einen russischen Pass erhalten und ist damit laut offiziellem Register Russlands russischer Staatsbürger geworden.  (The Insider / Newsweek / Tag24 / uawire.org / LRT / delfi.lt )
Aber Szebunova-Kaminskas klagt nun gegen den litauischen Staat - aber weshalb nur? Will sie nicht abgeschoben werden, oder ihre Vermögenswerte nicht verlieren? Oder nur Zeit gewinnen, um das Vermögen in Litauen zu einem guten Preis verkaufen zu können - und sich danach mit russischer Staatsbürgerschaft nach Russland zurückzuziehen? Auch in Russland verfügt sie über Besitztümer: allein ein Landhaus in der Nähe von Moskau soll 24 Millionen Euro wert sein.
Das zuständige litauische Ministerium meint, Kaminskas hätte es versäumt eine doppelte Staatsbürgerschaft den Behörden mitzuteilen (die litauische und die russische). Nach litauischem Recht ist eine doppelte Staatsbürgerschaft nur in Ausnahmefällen zulässig. 
 
Litauisch, russisch, oder beides? Besonders einige reiche Geschäftsleute, die bisher vom Taktieren zwischen beiden Ländern erheblich finanziell profitiert haben, scheinen besondere Schwerigkieten zu haben, sich nun eindeutig zu positionieren.

28 April 2022

Neues aus Vokietija

Wahre und falsche Anwälte

In den frühen 90iger Jahren, als Bundeskanzler Kohl sich noch scheute, die baltischen Staaten mal mit einem Besuch zu beehren, prägte sein Aussenminister Kinkel den Spruch von "Deutschland, Anwalt der Balten". Allerdings meldeten böse Zungen schon damals: "ein Anwalt, der mit seinen Klienten nie zum Gericht ging". (siehe auch: Helge Dauchert) Symbolpolitik anstelle von klaren Worten. Da muss selbst Andreas M. Klein in einem Beitrag für die Adenauer-Stiftung konstatieren: manchmal sei Deutschland auch eher "advocatus diaboli" gewesen, nämlich dann, wenn "wenn die baltischen Belange die Erreichung deutscher Ziele und insbesondere das Verhältnis der Bundesrepublik zu Russland zu beeinträchtigen drohten." Was Deutschland anbot, waren "ultraspannende" 3+1-Treffen, also einmal jährliche Routine-Fototermine der jeweiligen deutschen Außenminister mit den baltischen Amtskolleg/innen. 

Deutsche Schablonen

Deutschland steht in Litauen eher selten im Fokus. Manches scheint selbst-verständlich: die Stärke der deutsche Wirtschaft wird auch von Litauen nicht angezweifelt, nicht zuletzt weil ja viele litauische Arbeitsmigrant/innen in den verganenen Jahren ihren Arbeitsplatz in Deutschland fanden. Und im Tourismus begügen sich die Litauer/innen damit, dass viele Deutsche eben nur die Kurische Nehrung kennen, und manche es eben auch nur für "ehemaliges Deutschland" (also Ostpreußen) halten. Zudem kommt manchen Deutschen nicht einmal der Name der litauischen Hauptstadt Vilnius über die Lippen - es wird streng behauptet, der "deutsche Name" (aus welchen deutschen Zeiten?) sei Wilna. 

Unruhe im Wirtschaftsparadies

Nun aber, seit der "Zeitenwende", ändert sich aber offenbar die Tonlage. Da ist zum Beispiel Vytenis Šimkus, Chefökonom bei der "Swedbank". Beruflich also in einer sehr ähnlichen Position, was Gitanas Nausėda machte, bevor er Präsident wurde. Deutschland gelte als "eines der konservativsten Länder Europas", meint Šimkus, und damit ist offenbar nicht "Traditionspflege" oder Ähnliches gemeint. Nach der Wiedervereinigung habe man Deutschland "Europäischer Patient" nennen müssen, meint der litauische Ökonom. Staatliche Sparmaßnahmen hätten in Deutschland dazu beigetragen, die Binnennachfrage weiter zu dämpfen und die Arbeitskosten zu kontrollieren, auch mit Hilfe der Hartz4-Regeln.Und 2008 habe man eben diese Bestimmung eingeführt, dass das strukturelle Haushaltsdefizit 0,35 % des BIP nicht überschreiten. "Sparsamkeit als staatliches Prinzip", diagnostiziert Šimkus, "eine sicher kurzsichtige Politik" (LRT / delfi)

Das "erste Opfer" der deutschen Sparpolitik sei eben das Militär gewesen, meint der Banker, denn in Deutschland "habe Millitär eben einen schlechten Ruf". In den letzten 10 Jahren habe Deutschland eben nur 1,2% für die Verteidigung ausgegeben, und das habe eben weder für Modernisierung noch für Instandhaltung gereicht. Allerdings sei das Militär nicht das einzige Opfer gewesen - auch bei der Infrastruktur und bei der Digitalisierung habe Deutschland Nachholbedarf. Und bei der Energieversorgung habe Deutschland eben auf "eine billige russische Tankkarte" gesetzt. Šimkus zitiert Constanze Stelzenmüller, Analystin für internationale Beziehungen, mit den Worten: „Deutschland hat seine Sicherheit an die Vereinigten Staaten, seine Energiepolitik an Russland und sein Wirtschaftswachstum an China abgegeben.“ (LRT/ delfi)

Neue deutsche Tugend: allein der Geiz?

Letztendlich möchten auch Ökonomen wie Vytenis Šimkus für ein stärkeres Europa plädieren. Aus der litauischen Presse lässt sich die Tendenz erkennen, nun eher den Worten von Außenministerin Baerbock zu glauben, als sich an den Sozialdemokraten Scholz und Steinmeier zu orientieren, ebenso wie ihre Aussage: "Wir unterstützen das Recht der Ukraine, sich zu verteidigen." (delfi) Auch die Aussagen Baerbocks zu verstärkten deutschen Bemühungen, die NATO-Brigade in Litauen weiter auszubauen, werden registriert. Und auch ein neues "Wording" finden die Litauer/innen: Baerbock sei "Vokietijos diplomatijos vadovė" ("die Leiterin der deutschen Diplomatie") (LRT). Deutlicher kann wohl kaum ausgedrückt werden, wo der Wunschpartner (also die Partnerin) auf deutscher Seite zu finden ist. Bezüglich "Olafas Scholzas" ztiert die litauische Presse da schon eher Umfragen, denen zufolge viele Deutsche mit der Scholzeschen Vorgehensweise unzufrieden seien (Respublika). Und etwas unglücklich für die deutschen Sozialdemokraten wirkt sich der Umstand aus, dass eben vor allem Scholz mit Deutschland identifiziert wird - und zum Beispiel Gesprächsergebnisse der Bundestagspräsidentin Bärbas Bas (ebenfalls SPD) mit ihrer litauischen Amtskollegin Viktorija Čmilytė-Nielsen eher unbeachtet blieben (mfa / lrs)

Es bleibt aber dennoch zu hoffen, dass sich das neue litauische Selbstbewußtsein, angesichts neuer Gefahren besonders geschärft, sich nicht aufs Abarbeiten militärischer Wunschlisten beschränkt. Und schon gar nicht auf Rechthaberei und Hochmut - gepaart mit dem sicheren Gefühl auf der richtigen Seite zu stehen - Ähnliches wurde in den 1990igern mal den "Wessis" vorgeworfen. Denn wir wissen ja: diejenigen auf die es in solchen Situationen ankommt, die wirklich in der Lage wären, Tendenzen und den Lauf der Dinge zu verändern - die merken sowas immer viel zu spät.

21 März 2022

Die Welt nebenan

Sein Name ist ein gutes Beispiel für eine geteilte Heimat: Andrew Miksys ist geboren in Seattle (USA), lebt jetzt in Litauen, seit nunmehr 15 Jahren in Vilnius. Sowohl in Seattle, wie auch in Kaunas, Vilnius und anderen Orten waren seine Fotos schon ausgestellt. 2016 erhielt Miksys den Balys-Buračas-Preis, der nach dem 1972 in Kaunas verstorbenen legendären litauischen Fotografen Balys Buračas benannt ist, der durch ganz Litauen reiste und das Alltagsleben fotografisch domumentierte (siehe auch TV-Film zum 125.Geburtstag). 

Schon seine Serie zum Thema "litauische Dorfdiskos" erzeugte Aufsehen. Mindestens genauso interessant, auch mit internationalem Blickwinkel, sind seine Fotoserien über Roma in der baltischen Region. Miksys selbst nennt diese Serie "Baxt" - was eine Anlehnung an ein Roma-Wort für "Glück, Schicksal" darstellt. Eine Auswahl dieser Fotos ist noch bis zum August 2022 im Museum für Moderne Kunst (MO Museum) in Vilnius ausgestellt. 

Auch für dieses Projekt reiste Miksys jahrelang durch Litauen. Seine Fotos versuchen ohne Vorurteile auszukommen, es gelingt ihm ein Stück der inneren Intimität des Alltags der Roma zu zeigen - so beschreiben es die Fotofachleute. 

"1998 kam ich mit einem Fulbright-Stipendium nach Litauen", erzählt Miknys dem Fotomagazin "FK". In Šnipišķes nahe Vilnius habe er dann die ersten Roma getroffen. Schon 2007 erschien ein Buch mit diesem Thema, ein zweites ist in Vorbereitung. Und Miksnys erzählt auch, dass eigentlich schon 2018 eine ähnliche Fotoaustellung geplant gewesen sei, in der Litauischen Nationalbibliothek. Dort habe man ihn dann gebeten, auch einen Text zu den Fotos zu schreiben und in diesem Zusammenhang habe er der vergessenen Opfer unter den Roma in der Zeit der Besetzung Litauens durch die Nationalsozialisten erwähnt. "Das passte der Nationalbibliothek gar nicht", erzählt Miksys, "und nachdem ich abgelehnt hatte, diese Textstellen zu streichen, sagten sie die Ausstellung ab." Miksys zögerte nicht, diese Auseinandersetzung auch zu veröffentlichen, u.a. auf seiner Facebook-Seite. Der Streit landete vor Gericht. 

"Die Lektion für mich war, dass viele Institutionen immer noch unsicher im Umgang mit schwierigen Themen der litauischen Geschichte sind", meint der Fotograf. "Beim MO Museum ist das jetzt anders, die haben schon Erfahrung in der Zusammenarbeit mit den Roma". (FK Magazin).  

"Die Geschichte in Litauen ist noch unvollendet", meint Miksys. "Litauen und Lettland, das sind einfach junge Staaten. Als Fotograf suche ich einfach interessante Motive und Themen - es war nicht die Absicht ein 'politisches' Projekt zu machen." Aber als noch schlimmer schätzt er die Situation in Belarus ein. Zurückblickend auf seine Ausstellung in Minsk, die noch vor 2020 stattfand, sagt er: "Der Mensch, bei dem ich 2017 ausgestellt habe, ist nun schon seit 1 1/2 Jahren in einem KGB-Gefängnis. Das ist einfach furchtbar!. Dieses Land ist wie eine andere Welt, aber nur 35km von Vilnius entfernt." (FKMagazin)

Und auch zur aktuellen Situation in der Ukraine schweigt Andrew Miksys nicht: "Ich denke, dass es sehr wichtig ist, die Geschichten, die in diesem Teil Europas erzählt werden, zu fotografieren. Die Menschen anderswo erkennen nicht, wie die Demokratie verschwinden kann. Kriege können passieren. Meine Mutter ist Ukrainerin. Demokratie – für viele selbstverständlich, aber sie kann verschwinden. Ich bin gebürtiger US-Amerikaner und wir kämpfen jetzt auch in der Politik mit ähnlichen Problemen, wo die Demokratie bedroht ist. Wir müssen uns und alle daran erinnern, wie wichtig es ist, dafür zu kämpfen."

02 März 2022

Zeitenwende - in Deutschland und Litauen

Proteste vor der russischen Botschaft in Vilnius
Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine hat es uns überdeutlich gezeigt: etwas ist anders geworden. Wahrscheinlich ist die These einer "Zeitenwende" richtig - und die aktuell drängende Sorge um das Schicksal der Menschen in der Ukraine legt nahe zu sagen: jetzt wirkt alles Nachdenken über mögliche Fehler der Vergangenheit sinnlos. Jetzt ist alles anders. Gegenüber jemand, der keinen sachlichen Argumenten mehr zugänglich erscheint, der systematisch betrügt und auch Andersdenkende im eigenen Land gezielt ausschaltet - vor diesem Hintergrund sind wir gezwungen, uns von einigen Träumen zu verabschieden: von denen, dass Pazifismus Vorrang vor allem Waffengebrauch und Waffenproduktion haben könnte, und von der Absicht, Frieden in Europa nur mit gutem Willen erreichen zu können. 

Dass der Umgang zwischen Litauen und Deutschland anders geworden ist, zeigt schon der Satz des litauischen Präsidenten Gitanas Nausėda vom 10. Februar 2022: "Litauen betrachtet Deutschland als zuverlässigen strategischen Partner".
Hatten wir es bisher nicht zumeist anders herum verstanden? Als 2004 Litauen der EU beitrat - was werden die Litauerinnen und Litauer wollen? Viele Deutsche zögerten nicht, auf diese Frage mit "unser Geld" zu antworten.

Bei der Überlegung, was für die Zusammenarbeit zwischen Litauen und Deutschland bisher an erster Stelle stand, können wir zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das Auswärtige Amt zum Beispiel nennt bisher an erster Stelle die Städte Šilute und Klaipeda, Zitat: "Durch die frühere Zugehörigkeit Kleinlitauens (Memelland) mit den Städten Klaipėda (Memel) und Šilutė (Heydekrug) zum Deutschen Reich besteht eine besondere historische Verbindung zu Deutschland."

In der Werteskala folgen ein 1993 unterzeichnetes Kulturabkommen sowie die Eröffnung eines Goethe-Instituts in Vilnius. Aus deutscher Sicht scheint weiterhin wichtig zu sein, dass es litauenweit einen "Tag der deutschen Sprache" gibt, etwa 60 Städte- und Kreispartnerschaften und ein litauisch-deutschen Kriegsgräberabkommens aus dem Jahr 1996. 

Bedrohung aus dem Osten? - Nein, in diesem Fall
ist es nur Christian, Quartiermeister in Rukla ...

Im litauischen Rukla, wo 2017 "der Startschuss gefallen" war (wie es einige Berichte ausdrückten), führt seitdem die deutsche Bundeswehr ein Nato-Bataillon. Wahrscheinlich müssen heute viele zugeben: der These vom "Vorrücken der NATO nach Osteuropa" haben viele zwar nicht zugestimmt, jedoch die Betongung allen Militärischen erzeugte Unbehagen. Gerne wären wir beim Literaturaustausch, bei gemeinsamen Projekten der Wissenschaft, bei Diskussionen in Goethe-Instituten und bei Sprachkursen (Deutsch in Litauen, Litauisch in Deutschland) geblieben. 

Ich erinnere mich zum Beispiel an den Satz aus dem "German-policy-report", den deutschen Militäreinsatz in Litauen betreffend: "das Land, in dem die deutschen Besatzer ab Ende Juni 1941 gemeinsam mit ihren litauischen Kollaborateuren die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung, wie Historiker berichten, 'rascher, radikaler und vollständiger betrieben' als anderswo im okkupierten Europa." Oder an die Schlagzeile der FAZ: "Deutsche Rüstungsfirmen profitieren von der Ukraine-Krise". An die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Litauen 2015 (FAZ). Und auch an den Bericht des Bayrischen Rundfunks vom Januar 2017: "Dass es zu Gefechten kommen werde, halten die Soldaten für unwahrscheinlich. Deshalb ist es auch kein offizieller Auslandseinsatz, sondern wird 'Mission' genannt." (BR).

Militärstrategisch war vom "Schließen der Suwalki-Lücke" die Rede - ein Begriff, der es unter anderem zu einem ausführlichen Wikipedia-Eintrag gebracht hat und von manchen auch als "Achillesferse der NATO" (Focus) oder auch "Nadelöhr nach Westeuropa" (Nordkurier) bezeichnet wird. Oder, wie die NZZ es jetzt aktuell im Hinblick auf Litauen formuliert: die "russische Zange". - Jetzt wurde in Deutschland "für Litauen trainiert" (Mittelbayrische). Und die "Bots" und "Fake-News"-Produzenten fingen ebenfalls an, sich an Rukla "abzuarbeiten". Schon im Februar 2017 war beim litauischen Parlamentspräsidenten eine E-Mail eingegangen, in der deutsche Soldaten beschuldigt wurden, ein litauisches Mädchen vergewaltigt zu haben (Stellungnahme Bundesregierung).
Und CSU-Politiker Brandl wurde mit der Auffassung in Bezug auf Rukla zitiert, "die Truppe sei darauf jedoch nicht eingestellt und auch nicht ausgerüstet" gewesen (Donaukurier). - Nebenbei bemerkt: fast gleichzeitig mit der Entsendung deutscher Truppen nach Litauen gab es im Frühjahr 2017 bei der Buchmesse Leipzig eine große Präsentation Litauens als Gastland. 

Bisher haben wir immer die Buchmessen und Kulturveranstaltungen besucht, nicht die Kasernen. Was wird zukünftig in der Darstellung der Beziehungen zwischen Deutschland und Litauen genannt werden (können)? Wird Rukla zukünftig an einem Schützengraben liegen, hinter dem sich Putin-Russland verschanzt hat? Werden zwischenmenschliche Kontakte, über diesen Schützengraben hinweg, unmöglich werden, und wird in Litauen die Angst regieren, das Regime Putin könnte die militärische Aufrüstungsspirale (die ja mit den deutschen "100 Milliarden" nun in Gang gesetzt ist) noch weiter treiben, und Litauens Unabhängigkeit und Existenzrecht ebenfalls massiv bedrohen? Antworten darauf gibt es derzeit noch keine.

18 Januar 2022

Mythen gesucht - oder gefunden?

Das neue Jahr ist angebrochen, das Kulturhauptstadtjahr für Kaunas hat begonnen. Erstes Schlagwort der Berichterstattung scheint die "Suche nach dem Mythos" der Stadt Kaunas zu sein. Doch was soll das bedeuten? In Beiträgen wie z.B. im "Stern" oder "Die Zeit" sind mehrere Punkte genannt:
- Kaunas steht im Schatten von Vilnius
- es gab im 20. Jahrhundert sowohl Blütezeit und Traumata in Kaunas

Gleichzeitig wird auch an die Schwierigkeiten mit der Kulturhauptstadt Vilnius 2009 erinnert: eine nationale Fluggesellschaft, die genau zu diesem Zeitpunkt bankrott ging, und oben drauf die internationale Wirtschaftskrise, die viele Projektideen undurchführbar machte. Eigentlich gab es noch mehr geplatzte Träume damals, die heute lieber nicht mehr erwähnt werden: so derjenige, den neu aufgebauten Palast 2009 feierlich einweihen zu können. Oder auch der Rücktritt von Kulturhauptstadt-Intendantin Elona Bajoriniene, und das daraufhin abgesagte Treffen des Netzwerks der "European Capitals of Culture" (ECOC) in Vilnius. Dazu die schwierige Aufarbeitung des Holocaust und der litauische Anteil daran: in Vilnius sei es sehr schwierig, nach jüdischen Spuren zu suchen, meinte Matthias Kolb im Deutschlandfunk damals. Und Andrew Baker klagte in der "Welt" sogar, Vilnius sei "keine würdige Kulturhauptstadt".

Aber macht es überhaupt Sinn, nach "Mythen" zu suchen? Oder, anders gesagt: wenn ein Mythos gefunden und definiert wird, was folgt danach? Die "Wiener Zeitung" interpretiert das Motto anders: "Kaunas will Mythen schaffen". Ziel wäre dann, Zitat "Wiener Zeitung": "Kaunas soll nun von einer in Nostalgie schwelgenden Stadt zu einer wachsenden, offenen Stadt werden, die an sich und ihre Zukunft glaubt." 

Das klingt logisch. Denn was weiß der "gewöhnliche Europäer" heute über diese ehemalige litauische Hauptstadt, die sich nun für ein Jahr wieder Hauptstadt nennen darf? .... Eben. Ein Beitrag in der "Augsburger Allgemeinen" zitiert einen Satz aus dem Programmheft: im Gegensatz zu Ungarn oder Polen sei hier ein klares Bekenntnis zur „Idee Europas“ zu finden.Ergänzt durch das Bekenntnis: „wir haben ans Publikum gedacht. Wenn Ihr aber nicht kommt, kann es kein Kulturhauptstadt-Jahr werden“.

Schade nur, dass Kaunas sich so ein langweiliges Logo gewählt hat. Oder soll es wirklich auf eine Verbindung zu katholischen Vereinen hinweisen? Katholische Kaunas Kolping Kultur? Da fragen nicht nur die Schweizer: Wer hat denn das erfunden??? wir werden versuchen, es 2022 aktiv zu ignorieren ... - denn dieses Logo hat Kaunas nicht verdient.



09 November 2021

Kartoffelland

250 Gramm Kartoffeln isst ein durchschnittlicher Litauer (eine Litauerin) jeden Tag, so berichtet es die litauische Presse (LRT). Das würden pro Jahr etwa 100 kg ergeben. Aber gemeint ist hier eine Werbemaßnahme des litauischen Tourismus. Was wird beworben?

Liebhaber/innen der Erdäpfelklöße bekommen nun mehr Übersicht: präsentiert wird Litauens Zeppelini-Landkarte - also "nach Z sortiert", gewissermaßen. 

Auffindbar ist davon bei "Lithuania.travel" bisher allerings nur die litauischsprachige Variante. Vornehmliches Ziel scheint hier zu sein, Vielfalt zu demonstrieren: Zeppelini mit Buchweizen, Karotten, Käse, Pilzen, Sauerkraut - ja sogar mit Hanfsamen.

Nicht immer wurden die allgegenwärtigen Kartoffelklöße für tauglich befunden, im Ausland positiv für Litauen zu werben. Aber im Fokus stand eben auch bisher die traditionelle Variante: serviert mit Schmand und Specksoße. Nichts für Liebhaber/innen leichter oder vegetarischer Kost. Ob sich also die Varianten durchsetzen werden? Oder werden die Verbraucher/innen und Tourist/innen vielleicht genau anders herum denken: wenn schon Pilze, Karotten, Käse oder Hanfsamen - warum müssen dann Kartoffelklöße dazu?

Die Wochenzeitung "Freitag" überschrieb kürzlich einen Bericht über die künftige Europäische Kulturhauptstadt Kaunas mit "Led Zeppelini". Also? Vielleicht haben die Kartoffelklöße ja doch mehr Werbewirkung als vermutet?

04 Oktober 2021

Es summt und brummt

Zeichnung von Piotr Socha,
Cartoonist und Sohn
eines Imkers

Im Herbst ist Erntezeit - und auch die Imkerinnen und Imker Litauens ziehen ihre Bilanz. Etwa 12.000 Menschen sollen es sein, die sich als Imker/innen registriert haben (LRT). Die Lobeshymnen auf das Naturprodukt Honig sind vielfältig. "Lange Zeit hinter dem Eisernen Vorhang gehalten, haben sich größere Gebiete mit Wildpflanzen halten können" (welthonig.at) "Ein einziges Glas goldener Honig könnte die tausendjährige glorreiche Geschichte Litauens erzählen", schreibt Gražina Pavliatenko, die Honig der Imkerei von Donatas Žilaitis mit ihrer Firma "Hanf&Honig" von Deutschland aus verkauft.

Selbstvermarktung betreibt dagegen Familie Počas mit der eigenen Marke "Poco Honig". Eigenen Angaben zufolge verkauft die Familie bisher hauptsächlich nach Frankreich, aber auch nach Dänemark und Deutschland. 

Im Bezirk Šakiai zum Beispiel gibt es einen eigenen Imkerverband mit inzwischen 83 Mitgliedern und über 2000 Bienenvölkern. Früher mal seien auch Hobbyimker/innen hier angeschlossen gewesen, heißt es. Interessant ist hier auch die Information, welche Verbrauchergruppen Honigabnehmer/innen sind: da werden Wohltätigkeitsorganisationen genannt, Alten- und Kinderheime, die medizinische Forschung, und natürlich auch Supermarktketten und Honigexportunternehmen. Manche Imker produzieren auch nur für den Eigenbedarf, oder verkaufen auf Märkten. 

Seit 2013 wird versucht, Honig unter dem Label “Visos Lietuvos MEDUS” zu vermarkten. Durch billigen Honig aus China und auch aus der Ukraine war der Honigpreis in Litauen gefallen, neue Ideen wurden gesucht. Etwa 200.000 Bienenvölker sammeln in Litauen jedes Jahr fleissig die Pollen ein, aber wenn es zuviel Honig gibt, sinkt der Preis, und somit der Verdienst der Imkersmenschen. So hat auch der litauische Imkerverband ("Lietuvos bitininkų sąjunga" LBS) eigene Regeln formuliert, was als "Honig aus Litauen" gelten darf.

"Die Pflanzen, Bienen und Menschen, das hängt alles eng zusammen", sagt Algirdas Amšiejus, selbst Imker und Autor des Buches "Bičių metai" ("Das Bienenjahr") (LRT). Imkerverbandschef Sigitas Uselis meint: "An Honig wird es in Litauen bis zum nächsten Sommer nicht fehlen!" (lrytas) Und wer als Gast demnächst nach Litauen kommt, macht vielleicht im "Honigtal" Rast, 15km östlich von Jurbarkas nicht weit vom Nemunas gelegen: hier ist der Imker gleichzeitig Campingplatzbetreiber und garantiert sozusagen "ein süßes Leben den ganzen Tag" - Honigprobe inklusive.

15 August 2021

Brennpunkt mit Vorgeschichte

Für Litauen ist es keine ungewohnte Situation: zwischen widerstrebenden Interessen verschiedener größerer Mächte. Nun in neuer Variante: Litauen als Eingangstor für Flüchtlinge, die aufwändig zu dieser ungewöhnlichen Route eingeladen werden. 

Ungemütliche Nachbarschaft

Wie Lukashenko das anstellt, gibt zum Beispiel die NZZ wieder, indem litauische Quellen (LRT) zitiert werden: "irakische «Reisebüros» werben Menschen für eine Reise nach Weissrussland an. Die «Touristen» müssen mehrere tausend Dollar hinterlegen, die einkassiert werden, sollten sie nicht zurückkehren. Hunderte Migranten gelangen so in die weissrussische Hauptstadt Minsk, wo sie sich einige Tage in Hotels aufhalten, bevor es in Minibussen an die litauische Grenze geht. Von da sind es nur noch wenige Meter in die EU. Instruktionen, wo der Grenzzaun einfach zu passieren sei, werden ihnen von den «Reiseleitern» mit auf den Weg gegeben." 

Hat also Diktator Lukaschenko das Nachbarland Litauen "in eine Falle gelockt", wie ebenfalls die NZZ schreibt? Der "Merkur", wo es noch "Belarus (ehemals: Weißrussland)" heißt, schreibt sogar, Lukashenko habe "sich mit 80,1 Prozent der Stimmen vor einem Jahr im Amt bestätigen lassen" - ja sind denn diese vom Diktator diktierten Zahlen glaubhaft? (Merkur)

Aus deutscher Sicht gibt es wohl vor allem zwei Sichtweisen: die einen denken vor alllem an die vergeblichen Versuche der belarussischen Opposition, Lukashenko, der sich offenbar nur noch durch Wahlbetrug und massenhafte Gewaltwendung an der Macht halten kann, zu verdrängen. Die anderen meinen wohl, das Ziel von Flüchtlingen könne wohl nur Deutschland sein, und Litauen nur ein Trittstein auf dem Weg dahin.

Rückblick

Ist das zu kurz gedacht? Als 2015 Deutschland (und andere Länder) hauptsächlich mit Flüchtlingen aus Syrien zu tun hatte, zeigte sich Litauen zunächst bereit 40 Flüchtlinge aufzunehmen (Zusage Butkevicius / NZZ), dann gestand man 250, schließlich 325 zu (Standard). Die damalige Präsidentin Grybauskaite musste beruhigen: "Wir müssen uns nicht vor Menschen fürchten, die vor Krieg, Verfolgung und Hunger fliehen." Die EU in Brüssel forderte damals Litauen auf, 780 Flüchtlinge aufzunehmen (heise). Eine Verteilung nach festen Quoten lehnte Litauen ab. 

Damals kam auch von deutscher Seite die Idee auf, EU-Länder bei Ablehnung von festen Flüchtlingsquoten mit der Kürzung von Finanzmitteln zu bestrafen (Sächsische). Auf litauischer (wie auch auf polnischer) Seite hätten manche auch gern "nur christliche" Familien aufgenommen. Schließlich lag die Zahl dann bei 1.105 Flüchtlingen, die Litauen aufzunehmen bereit war (Standard). Und der damalige litauische Innenminister Jankevicius reiste nach Griechenland und erklärte dort, Aufnahmewillige selbst aussuchen zu wollen - aber die griechischen Behörden hätten keinen einzigen Flüchtling identifizieren können, der nach Litauen wolle.

In der Folge reisten nun Journalisten nach Litauen, um aus Unterkünften für Asylbewerber/innen zu berichten (z.B. Pabrade). Und im November 2015 verabschiedete dann das litauische Parlament auch endlich mal ein Asylrechtsgesetz (LRT).

Ab Dezember 2015 übernahm dann Litauen einzelne Flüchtlinge aus Griechenland (Ntv / Euronews). Schon damals war gleichzeitig von einer Sicherung der Grenze zu Belarus die Rede. Ansonsten waren es eher Ukrainer/innen, Russ/innen oder Georgier/innen, die damals in Litauen Asylanträge stellten. Ein »Bund der litauischen Nationalisten« protestierte in Litauen gegen die Aufnahme muslimischer Flüchtlinge. (JungleWorld). 

Im März 2016 kam dann die Meldung, auch eine Flüchtlingsroute über Litauen werde vom Grenzschutz für möglich gehalten - verbunden mit einer vermuteten Weiterreise Richtung Skandinavien. (Focus) Als Litauen dann Grenzschützer und Polizisten nach Griechenland schickte (NZZ), erregte der Fall von Abdul Basir Yousofy Aufsehen, ein Afghane, der von dort aus Litauen um Asyl bat - ein litauisch sprechender Flüchtling, denn er hatte in Afghanistan fürs litauische Militär als Übersetzer gearbeitet (Stern).

Während Journalist Tomas Čyvas sogar einen "neuen eisernen Vorhang" fordert, diesmal als Abschottung für Litauen (eurotopics), berichtet die russische Agentur Sputnik schon 2016, Litauen bereite sich nun auf die Abriegelung der Grenze zu Belarus vor. 

Quoten, Anträge, Abschottung

"Diese Migrationskrise ist komplizierter als die Wirtschaftskrise", seufzte 2016 Präsidentin Grybauskaite im Interview mit dem Deutschlandfunk und gibt gleichzeitig zu Bedenken: "wir haben keine Erfahrung mit der Integration muslimischer Menschen." Im November 2016 wird gemeldet, dass 35 gemäß EU-Verteilungsplan nach Litauen geschickte Flüchtlinge das Land wieder verlassen hätten - aus Enttäuschung über ausbleibende Hilfe und Unterstützung (RP-online).

In dieser Zeit schreibt der deutsche Autor Nils Mohl vom "Land der Helden – Litauens ganz eigene Flüchtlingskrise" (Baden online). Von einem "Land der Helden" (Nationalhymne) ohne Willkommenskultur und fast ohne Einrichtungen für Flüchtlinge, hingegen mit einem enormen Alkoholkonsum und dem Europameistertitel in der Suizidrate. So Nils Mohl. 

2017 wehrt sich der aus dem Iran stammende Journalist Sirus A. juristisch gegen seine Abschiebung nach Litauen und flüchtet sich ins Kirchenasyl in Rheiberg: "Ich habe Angst um mein Leben" (RP-online). 

Schon zu dieser Zeit wies Litauen immer wieder auf die besondere Lage des Landes hin: einerseits die massenhafte Auswandung besonders junger Litauerinnen und Litauer in Richtung besser bezahlter Jobs in anderen EU-Ländern, und andererseits die Unterstützung für die demokratischen Bewegungen in den östlischen Nachbarländern wie der Ukraine und Belarus.

Keine Einigkeit unter Demokraten?

Aktuell besteht wohl die Gefahr, dass Litauens Haltung von deutscher Seite entweder nur sarkastisch bis ironisch betracht wird, oder aber offen ablehnend - denn "flüchtlingsfreundlich" war Litauen in den vergangenen Jahren nie, höchstens "EU-bündnistreu".

Mit der Willkommenskultur gehe es zu Ende, meint ein Leserbriefschreiber, dem der "Trierer Volksfreund" Platz zum exklkusiven Abdruck einräumt, und der gleichzeitig behauptet, 2015 sei "für eine Politik der offenen Grenzen" geworben worden. Nun ja, viele sind eben nur in der Lage, es aus der eigenen Perspektive zu sehen. Interesse für die litauische Perspektive? Hm, solange es schlagzeilenträchtig ist ...

Inzwischen hat Nachbarland Lettland den "Ausnahmezustand" erklärt; unter diesen Bestimmungen dürfen Sicherheitskräfte in bestimmten Fällen physische Gewalt anwenden, um Migranten zurückzudrängen. Grenzbeamte sind während des Ausnahmezustands außerdem nicht verpflichtet, Asylanträge von Migranten zu akzeptieren. (Tagesspiegel) Und "Euronews" schreibt ein bischen selbstverliebt: "Niemand hat die Absicht, einen Zaun zu errichten" - was hier die Gemeinsamkeit zwischen der Mauer, die Deutschland teilte, und der litauischen Grenzsicherung sein soll - hier wird wohl auf Kosten von Litauen gewitzelt. Wohl weil es gerade zum Jahrestag des Mauerbaus passte - das nennt sich verantwortungsvoller Journalismus. Jeder nach eigenen Maßstäben offenbar.

S

20 Juli 2021

General Grybauskaite?

Jens Stoltenberg war Ministerpräsident Norwegens und wurde 2014 Generalsektretär des Militärbündnisses der NATO. Seine Amtzeit endet zwar erst im September 2022, aber das Magazin "Politico" hat schon jetzt die Diskussion um seinen Nachfolger eröffnet. Nachfolger? Warum sollte es denn nicht mal eine Frau sein? So fragt Autor David M. Herszenhorn. Seinen Angaben zufolge wünschen sich einige nach 72 Jahren NATO einfach mal eine Frau an der Spitze, andere setzen die Priorität eher in "einem starken Signal in Richtung Moskau" - also eine Person aus Osteuropa. 

Andererseits heißt ja eine alte Regel: wer seinen Hut zuerst in den Ring wirft, hat meistens schon verloren. Oft werden die mehrheitsfähigen Kandidat/innen erst ganz zuletzt "aus dem Hut gezaubert" (um mal beim Hut zu bleiben), so ging es ja auch Ex-Ministerin von der Leyen. Ob also die beiden Expräsidentinnen Grabar-Kitarović (Kroatien) oder Kaljulaid (Estland) realistische Chancen hätten? Oder gar die Litauerin Dalia Grybauskaite als "General"-sekretärin des NATO-Militärbündnisses? (LRT / LRytas) Würde sie 2022 ernannt, könnte sie beim NATO-Summit 2023 in Litauen "Gastgeberin" sein (Baltic Times). Aber könnte sich Deutschland damit anfreunden, dass Grybauskaite eine "militärische Führungsrolle" der Deutschen fordert? (FAZ / Süddeutsche / Augsburger Allgemeine / Volksstimme)

Nun ja, in Deutschland hätten wir da noch eine Annegret Kramp-Karrenbauer: ihre Vorgängerin hat ja vorgemacht, dass frau aus diesem Ministeramt heraus gut Karriere machen kann. Angeblich soll auch noch die britische Ex-Premierministerin Theresa May bei einigen auf der Vorschlagsliste stehen. Und in Italien gibt es ja noch Federica Mogherini, Ex-Außenministerin und von 2014 bis 2019 zuständig für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik.

Abb.: NATO
Braucht die NATO weibliche Führung? Brauchen wir die NATO? 

Arvydas Anušauskas, gegenwärtig Verteidigungsminister der Republik Litauens, setzte in einem Interview kürzlich die Prioritäten der NATO so: Stärkung des Artikels 5 des NATO-Vertrags (Angriff gegen einen ist Angriff gegen alle), eine realistische Bewertung der Bedrohungen aus Russland, und eine gleiche Verteilung der finanziellen Lasten (= Zusage Litauens, 2% des BSP für Militärausgaben zu reservieren). Zu einer Notwendigkeit für Frauen in Führungspositionen sagte er nichts. 

"Es wäre eine große Errungenschaft für Litauen, wenn Dalia Grybauskaite eine solche Position ausfüllen könnte," so lässt sich Povilas Mačiulis, Chef-Berater des amtierenden Präsidenten Nauseda, zitieren (Baltic Times). Allerdings, so Mačiulis, müssten dann alle litauischen Institutionen sich auch dafür einsetzen, dass es auch realisiert werde.

41% der von der NATO Beschäftigten seien Frauen, so steht es auf einem NATO-Factsheet "Women, peace and security" (Stand Oktober 2020), zusammen mit einem Bekenntnis zu genderneutraler Sprache. Ob sich eine Frau also mit der weiblichen Form des Titels "Sekretär" überhaupt anfreunden könnte?

02 Juli 2021

Kaunas: Blogger auf Durchreise

Wer liest noch Reiseführer? Scheinbar ist genug Ersatz vorhanden: Reiseblogs im Internet, inklusive Selfies, selbst erfundenen Bewertungsranglisten und Wort-Klischees wie das vom "Seele baumeln lassen". Leider ist es im Netz auch üblich geworden, zwei bis drei Sätze zu einer Stadt, aber 20 bis 30 beliebige Foto-Schnappschüsse zu posten. 

Kaunas hat sicher Nachholbedarf. Die europäische Kulturhauptstadt des kommenden Jahres 2022 würde sich sicher freuen, öfters auch von den Reisebloggern berücksichtigt zu werden. Aber nun reisen ja die meisten Blogger quer durch ganz Europa, oder sogar durch die ganze Welt! Beim Blick ins Netz stellen wir fest: es ist gar nicht so einfach, mehr als nur ein, zwei allgemeine Sätze über Kaunas in den Blogberichten zu finden.

Kaunas, ist das nur Basketball, Teufelsmuseum, weißer Schwan - vermischt mit Erinnerungen an den Holocaust?

Ein bloggender Gast aus Erfurt, der sich "El-Roadie" nennt, diagnostiziert "fehlenden Altstadtcharme" in Kaunas - hat aber auch das Pech, gerade zur Zeit einer Großbaustelle in der Laisves iela in der Stadt zu weilen. 

Frauke Zander genehmigt sich nur ein paar Nachmittagsstunden für Kaunas, um dann festzustellen: "der runden Wehrturm ist richtig schön anzusehen. Für eine Besichtigung ist es heute schon zu spät, daher bleibt mir nur der Blick von außen." Für alle "die mehr Zeit haben" stellt Frauke dann Tipps zusammen, nicht ohne anzufgen: "ward ihr schon mal in Kaunas? Dann schreibt doch davon in euren Kommentaren". Tja, Frauke, da gäbe es viel zu schreiben - aber hättest Du die Zeit, es zu lesen?

Christian Volk aus Leipzig schafft es immerhin bis zur Aussichtsplattform Aleksotas auf der anderen Fluseite - und das, obwohl die Seilbahn nicht in Betrieb ist. Was wurde entdeckt von hier aus? "Wir konnten den Kontrast zwischen Altstadt und Plattenbauten erkennen", schreibt Volk. 

Lena Marie Hahn schreibt sogar vom Reisen mit der ganzen Familie. Ihre drei Sprößlinge bezeichnet sie als "erfahrene Couchsurfer und abenteuerlustige Kulturkinder", und dementsprechend wird hier auch schon mal ein "Café mit Kinderspielecke" entdeckt und aus der privaten Perspektive von Couchsurfing-Gästen auch bemerkt, dass es in Kaunas eine Waldorfschule gibt. Aber Fakt ist auch: Lena Marie schreibt nahezu nichts ohne sich von kommerziellen Partnern "unterstützen" zu lassen - einfach eine "unabhängige Stimme" ist das also nicht. Und es gibt deutliche Missverständnisse: was hier als "Sowjet-Erbe" vermeintlich identifiziert und auch mit Fotos illustriert wird, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Architektur der Zwischenkriegzeit, auf die Kaunas ja zurecht stolz ist.Und dann schaut Lena Marie ausgerechnet den Frauen hinterher, und meint feststellen zu können: "Selbst junge Mütter tragen keinen Bauchspeck vor sich her". Litauisch kann sie nicht, aber "Frauen belauschen" hat bei ihr das Ergebnis: "ich habe mir die Mühe gemacht, genau hinzuhören, und fast immer ist es mir gelungen, sie russisch sprechen zu hören - denn wie in allen baltischen Staaten lebt immer noch eine recht große russische Minderheit im Land". Ist das wirklich Kaunas? Eine Stadt, die mal litauische Hauptstadt war, mit einem sehr großen Bevölkerungsanteil an Litauer/innen? Wir beginnen zu zweifeln, ob die eifrige deutsche Bloggerin hier vielleicht nur eigene Vorurteile sich selbst bestätigen möchte? - Wie zur Bekräftigung ihrer deutschen Brille steht hier am Schluss: "Aber sauber ist es!" 

Holger Post aus Bremen hat in Kaunas erst einmal Schwierigkeiten, seine gebuchte Unterkunft zu finden. Ein "dicker Mann auf einem Balkon" entpuppt sich dann als Vermieter, von dem Holger vermutet er habe nicht nur vergessen "die Werbung anzubringen", sondern auch sein Gewerbe anzumelden. Klingt ganz wie "modernes Reisen". Auch Holger meint in Kaunas "olle Bauten aus Sowjetzeiten" zu entdecken, findet es sogar "klein, bieder und etwas langweilig". Holger vergleicht Kaunas mit Orten in Brandenburg oder der Uckermark, findet Litauen aber trotzdem schön. 

Ein ausführlicherer Bericht über Kaunas ist sicher bei Dirk Matzen aus Hamburg zu finden. Er wagt es auch mal sich vom Trolleybus bis zur Endhaltestelle entführen zu lassen, und kann sich nicht erklären, dass diese Oberleitungsbusse in deutschen Städten fehlen. Er freut sich über "viele, liebevoll gestaltete Details" im Stadtbild. Aber auch er sieht im Postamt Kaunas "sozialistischen Baustil in Reinkultur" (nun ja, auch er: ein Wessi!). Dennoch: viele Eindrücke sind hier versammelt zu finden, verbunden mit dem Fazit: "die Stadt macht zwar einen etwas verschlafenen Eindruck, aber dabei vor allem auch einen sehr freundlichen, liebenswerten!" 

Also, liebe Bloggerinnen und Blogger: auf nach Kaunas! 2022 müsst ihr dann mit mehr Konkurrenz rechnen, vermutlich. Wer seine Erwartungen schon mal abgleichen möchte mit der Art und Weise, wie die Stadt sich selbst darstellt, kann bei Visit-Kaunas einen Eindruck bekommen.

13 Mai 2021

Gelbes Litauen

Seitdem das Schlagwort "Corona" weltweit bekannt wurde, ebenso ein Zustand im "Lockdown" und ähnlichen Zuständen, sind viele kulturelle Aktivitäten vollständig zum Stillstand gekommen. Auch im Mai 2021, wo in Deutschland alles von der "Bundesnotbremse" dominiert wird (oder vor kurzem wurde) haben wir uns daran gewöhnt, dass viele Veranstaltungen entweder ausfallen oder in den digitalen Raum verlegt werden. Nun ist es wieder Mitte Mai, und, da war doch was?

Noch nie hat ein litauischer Beitrag die "Eurovision" (früher: Grand Prix d-Eurovision) gewonnen. Außer im pandemischen Lockdown 2020. "The Roop" gewannen 2020 das sogenannte "deutsche Finale" vor leeren Rängen in der Elbphilharmonie (RND). Litauen sei "Sieger der Herzen", so schrieben die deutschen Fans auf "eurovision.de". Die Reaktionen in Litauen können wir uns beinahe denken: ganz nett, aber besser wäre, wenn wir mal "wirklich gewinnen".

Gelber Klamauk auch
im Krankenhaus - ob das
die Gesundheitsbranche in
Litauen, die momenten viele
andere Sorgen hat, wirklich
witzig findet?

Nun wird ja "The Roop" 2021 erneut antreten dürfen - schon das symbolisiert den "Entschädigungscharakter" dieser Entscheidung zur Genüge. Aber immerhin war also auseichend Zeit, eine ordentliche Kampagne zu starten. Motto: Weg mit den schwarzen Pluderhosen von 2020, her mit der grellsten Farbe, die Litauens Nationalflagge zu bieten hat: GELB! Die gelbe Werbekampagne rollt (zumindest in Litauen), und entsprechende Imagefilme und Videos versuchen sogar den Eindruck zu erwecken, ganz Litauen trage im Mai 2021 gelb. 

Wer sich mitreißen läßt, dem und der wird einiges geboten: Bandleader Vaidotas bezeichnen die Fans als "charismatisch", es gibt neben dem Song "Discotheque" auch einige spezielle "Moves" und Handbewegungen, und natürlich das allgegenwärtige Gelb. Und das letzte Argument, wenn alle anderen vielleicht vom "Trällerwettbewerb" reden, bringen die Fans: "Genau das ist eben der ESC! Verrückt, bunt, überdreht!". Und genau das erwarten ja viele. 

Der "Roop-Rhythmus" in vielfacher
Variante - vielleicht eine Methode, um
den eigenen Arbeiter/innen
über die pandemische Melancholie
hinüberzuhelfen? (hier: Lietuvos Rytas)

Ob allerdings die Be-mühungen, ganz Litauen im "gelben Rausch" zu zeigen, immer so ganz glücklich ausfallen? Einerseits konnten viele der Videoclips vielleicht günstig auf pandemisch geleerten  Straßen und Plätzen gedreht werden. In stillstehenden Fabriken tanzen die Lagerarbeiterinnen und die Praktikant/innen - litauische Art, optimistisch mit dem vom Virus und seinen Varianten erzwungenen Stillstand umzugehen? - Andererseits sehen wir dann auch Krankenhaus-Angestellte sinnlos durch die Flure hüpfen - ist es eher Aufmunterung oder Veralberung der Gesundheitsbranche? 

Vorstadtkids für Litauen: alles in Schwung!
Nun ja, vielleicht ziemt es sich aus litauischer Sicht nicht, hier Kritik üben zu wollen. Wie gesagt: Litauen hat den ESC noch nie gewonnen. Wie stehen die Chancen? "ESC-kompakt" findet immerhin, dass Litauen im Halbfinale den zweiten Platz machen wird. Ja, eine Finalteilnahme wäre schon mal die erste Stufe zum Erfolg - und würde die vielen "vergilbten Maßnahmen", so wie sie zum Beispiel bei "Kulturport.de" gut wiedergegeben sind, rechtfertigen. 

Das Finale steigt am 22. Mai 2021 in Rotterdam. Alle Teilnehmenden mussten bis zum 26. März Videos einreichen - vorsorglich für den Fall, dass auf einer Bühne am 22.5. nichts stattfinden kann. Der Veranstalter EBU kündigte an, dass bis zu 3500 Fans in der Rotterdamer Ahoy-Arena dabei sein können - aber das steht noch unter Vorbehalt. Die Halbfinals werden voraussichtlich vom TV-Sender ONE übertragen, das Finale dann in der ARD. Aber auch beim Platz vor dem Fernseher oder PC ist ja noch ist nicht klar, mit wievielen Bekannten aus wievielen Haushalten das dann an welchen Orten geschaut werden kann - und was macht eigentlich der diesjährige deutsche Beitrag? In der ARD-Vorschau präsentiert er sich in gelber Jacke - ist das ein Vorzeichen?  

Noch mehr Gelb: Lithuaniagoesyellow