22 April 2005

Tourismus & Umwelt

Litauen - Atomare Zone, statt Urlaubsland?

Ignalina - lange Jahre hatte dieser nord-östliche litauische Ort Probleme mit dem Image. Im Gegensatz zu weltbekannten Naturlandschaften wie der Kurischen Nehrung kommen die Touristen nur sehr zögernd in diese Gegend. "Ein Imageproblem", beklagen die örtlichen Tourismusmanager.

Der Name des Ortes ist identisch mit dem von vielen Experten als hochgefährlich eingestuften Atomkraftwerk in Litauen, gegen dessen Bau in den 80er Jahren litauische Umweltschützer nur teilweise erfolgreich demonstriert hatten. Es ist baugleich mit dem AKW Tschernobyl, und daher war die garantierte Demontage eine Bedingung der Europäischen Union für den Beitritt Litauens zur EU.Jetzt werden also Hunderte von Millionen Euro von der EU ausgegeben, um Ignalina Stufe für Stufe abzureissen.
Dieser Prozess wird noch viele Jahre andauern, und die litauischen Politiker waren erfolgreich genug, um sich die EU-Gelder garantieren zu lassen. Auch Strukturhilfen für die Region Ignalina Fließen inzwischen in Millionenhöhe. - Doch schon basteln einflußreiche Kreise nun nicht etwa an Alternativen, Energie auf umweltfreundlichere Art und Weise herstellen zu können, sondern - an einem Neubau eines AKW!
Dabei ist eines klar: die kleinen Länder Litauen, Lettland, Estland, können solch teure Anlagen nicht selbst bauen. Anfang April 2005 trafen sich daher der litauische Wirtschaftsminister Victor Uspaskich und sein lettischer Kollege Krišjāņis Kariņš in Vilnius, um Kooperationsmöglichkeiten der drei baltischen Staaten zu diskutieren. Einen "runden Tisch" mit Vertretern aus allen drei Ländern wolle man einrichten, ist in einer Pressemitteilung der Nachrichtenagenturen LETA und ELTA zu lesen. Wer nun aber beim Stichwort "runder Tisch" etwa an "demokratische Bürgerbeteiligung" denken könnte, sollte wissen, dass wohl eher das Gegenteil gemeint ist. Es wird wohl eher auf mehr oder wenige geheime Absprachen der großen Energiekonzerne hinauslaufen. Gerüchte weisen auf die massiven Investitionsinteressen der französischen Atomindustrie hin.
Deutsche Energiekonzerne werden wohl sehnsüchtig ein Abdanken von Rot-Grün herbeisehnen, um gleichartige Bestrebungen dann offener (und möglicherweise mit Unterstützung von Geldern der deutschen Steuerzahler) durchsetzen zu können.
Die beiden erwähnten Wirtschaftsminister bringen ihre Pläne in engen Zusammenhang mit der Konzeption eines gemeinsamen Energieversorgungsnetzes ("Baltic Ring") im Ostseeraum. 2006 soll ein 350-MW-Kabel zwischen Estland und Finnland fertiggestellt werden. Kosten: 110 Millionen Euro. Interessant dabei, dass ich "Lietuvos Energia" hier mit 27 Millionen Euro an den Investitionskosten beteiligt. Für 2009 plant Litauen den Anschluss seines Energieversorgungsnetzes nach Polen und Schweden. Die 1000-MW-Brücke nach Polen ist mit 434 Millionen Euro Baukosten veranschlagt. Den Löwenanteil davon soll die EU bezahlen - so wünscht es sich der atomfreundliche litauische Wirtschaftsminister.

Deshalb müssen die Atompläne auch vorerst auf "kleiner Flamme" gekocht werden - erst wenn EU-Parlamentarier und Banken ihre Zustimmung ohne große öffentliche Aufmerksamkeit gegeben haben, kann politisch Kapital daraus geschlagen werden. Weitere 400 Millionen Euro sind für die Verbindung der Energienetze Litauens mit Schweden nötig (Projekt "Swindlit").Bereits 2004 werden die ersten Teile des AKW Ignalina geschlossen und abgebaut. 2009 sol der nächste Block geschlossen werden. Schaut man sich aber einmal die Wahlkampfkampagnen litauischer Politiker an (deren Inhalt gewöhnlich kaum über das Land hinaus bekannt wird), dann gaukeln sie eine "billige atomare Eigenversorgung" für Litauen als möglich vor.
Die wahren Interessen der internationalen Atomindustrie werden lieber im Verborgenen gehalten, und mit etwas lokaler Wahlkampf-folklore ("litauische Interessen sichern") wird angeblich Einflussnahme und "Einmischung" aus dem Ausland verhindet. Umweltschutz-Argumente meint man in Litauen noch leicht unter den Tisch kehren zu können, da das Land im Gegensatz zu seinen baltischen Nachbarn nicht einmal eine ernstzunehmende Grüne Partei im politischen Spektrum aufweisen kann. Auch keine andere litauische Partei wagt es bisher, sich des Themas auf ehrlichere Weise anzunehmen.

Wohin lässt sich da Litauen treiben? Will man wirklich die Zukunft des Landes solchen "Polit-Marionetten" überlassen? Auch die Urlauber in Litauen werden ein Wörtchen mitzureden haben. Noch kommen sie vor allem aus Gründen, die mit der gut erhaltenen Natur und den unzerstörten Landschaften zu tun haben. Es ist zu wünschen, dass sie diese Beweggründe auch vor Ort, bei ihren litauischen Gastgebern, lautstark vertreten. Nur so bleibt das Schlagwort von der "gemeinsamen Zukunft Europa" nicht nur Illusion.

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