05 Juli 2006

Litauen: Ohne Euro, ohne stabile Regierung?

In Litauen ist was los im Parlament: Misstrauenvoten gegen den Parlamentspräsidenten, Abwahlanträge und Korruptionsverdacht gegen den Wirtschaftsminister, und Versuche von Koalitionsbildungen mit nur 50-60 von 141 Sitzen im Parlament - wo gibt es das sonst? Dennoch wahrscheinlich kein Grund, stolz darauf zu sein - weder politisch Interessierten aus dem Ausland, noch potentiellen litauischen Wähler/innen kann das Ränkespiel so richtig gelegen sein.

Rücktritte, Skandale, Gerüchte
Bis zum April 2006 hatte Litauen eine Regierung aus vier Parteien, ausgestattet auch mit einer Stimmenmehrheit im Parlament. Nach einem Mißtrauensvotum gegen den Neoliberalen Arturas Paulauskas zog sich dessen P
artei aber aus der Regierungskoaltion zurück, und Regierungschef Brazauskas konnte nach 18 Monaten Amtszeit nur noch auf die Unterstützung seiner eigenen Sozialdemokratischen Partei, zusammen mit der populistischen Arbeitspartei von Wirtschaftsminister Uspaskich, und der Bauernpartei/Neue Demokratie bauen. Auch das hielt nicht lange, die Meinungsverschiedenheiten wurden größer, und als am 31.Mai die Arbeitspartei auch ihre Minister aus der Regierung zurückrief, brach das Kartenhaus erst einmal zusammen. Die Büros der Arbeitspartei waren kurz zuvor von Mitarbeitern der litauischen Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf doppelte Buchführung durchsucht worden. Ausserdem gab es Gerüchte, wonach die Arbeitspartei von russischen Geheimdiensten finanziell ausgehalten werde (Novosti 31.5.06) - einen ähnlichen Vorwurf hatte es schon gegen den 2003 gewählten litauischen Präsidenten Paksas gegeben, der dann auch seines Amtes enthoben wurde. Ebenfalls schon vor zwei Jahren war dem damaligen Wirtschaftsminister Uspaskich Korruption bei der Verteilung von EU-Geldern vorgeworfen worden (Der Standard 3.6.06).

Am 1.Juni trat Algirdas Brazauskas als Regierungschef zurück, nicht ohne zu betonen, seine Partei sei jetzt für eine Regierungsumbildung nicht am Zuge, sondern "diejenigen, welche die bisherigen Regierung zerstört" hätten. Der litauischen Verfassung gemäß muss der Präsident nach Rücktritt einer Regierung im Laufe der darauf folgenden 15 Tage einen neuen Kandidaten als Regierungschef vorschlagen.

Glorreiche Pläne, Rückzugsgefechte
Eigentlich hätte der Mai 2006 zu einem strahlenden Erfolgsmonat für Litauen werden sollen. Litauen hatte noch Ende April eine förmliche Bewerbung an den Präsidenten der EU-Kommission, Jose Manuel Barroso, sowie an EZB-Präsident Jean-Claude Trichet abgeschickt - der Euro sollte zum Januar 2007 auch in Litauen eingeführt werden. Warnungen gab es in der internationalen Presse schon sehr früh: "schlechte Karten" attestierte "
Europolitan" den Litauern, "Erweiterung mit gebremstem Schaum" sagte die Börsenzeitung schon Anfang April voraus, und REUTERS prognostizierte treffsicher für Litauen "einen weiteren Rückschlag". Punktgenau zusammengefasst hat es dann die DEUTSCHE WELLE mit der Schlagzeile: "Baltische Erfolgsgeschichten ohne Happy End."
Erstaunlich dabei nur, dass Litauen sich wegen 0,1% zu hoher Inflationsrate sich nicht so leicht schrecken ließ, und zunächst sogar erreichte, dass manche Kommentatoren an den Beitrittskriterien zum Euroland zu zweifeln begannen - so z.B. die F
AZ "vom Nutzen der Euro-Regeln" (22.3.06). Das HANDELSBLATT zitierte eine kritische Stellungnahme des ehemaligen Chefvolkswirts der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), Willem Buiter, schon am 15.März in vollem Wortlaut. Und am 17.Mai kommentierte Michael Moravec im österreichischen STANDARD: "Realitätsverlust? Litauen leidet eher nicht darunter."

Hannes Gamillscheg zitierte in DIE PRESSE am 22.5. zurecht Litauens glänzendes Abschneiden bei den übrigen Kriterien zur Euro-Einführung: "Das öffentliche Defizit beträgt 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (drei Prozent wären erlaubt), und die Verschuldung ist mit 18,7 Prozent des BIP (Kriterium: 60 Prozent) niedriger als in allen Euro-Staaten außer Luxemburg."

Auch EU-Haushaltskommissarin Dalia Grybauskaite aus Litauen setzte sich natürlich argumentativ im Sinne der litauischen Euro-Wünsche ein, und fand sogar noch Unterstützung sowohl beim tschechischen Kommissar für Beschäftigung und Soziales, Vladimír Spidla, sowie der aus Polen stammende Kommissarin für Regionalpolitik, Danuta Hübner. Zwischenzeitlichen Erfolg hatte Litauen im Europaparlament am 1.Juni, als die EU-Parlamentarier mit Mehrheit gegenüber der EU-Kommission "eine Strategie für den schnellen Beitritt Litauens zur Eurozone" forderten.

Am Tag vor dieser Sitzung des Europaparlaments war die Regierung Brazauskas aber bereits zurückgetreten. Der konservative Oppositionsführer im litauischen Parlament, Andrius Kubilius, hatte schon einen Monat zuvor verkündet: "die litauische Regierung ruiniert die Euro-Einführung".

Alles weiter wie gehabt?
Die Regierungsbildung gestaltete sich als erwartet schwierig. Präsident Adamkus meinte zunächst in Finanzminister Zigmantas Balcytis einen geeigneten neuen Regierungschef gefunden zu haben, aber im Parlament fiel er mit nur 52 von 141 Stimmen glatt durch (DIE WELT 21.6.). Eine Nachwirkung seiner vermeintlichen Mitverantwortung beim Debakel um den Euro? Dann stieg Verteidigungsminister Gediminas Kirkilas in den Ring. Wie Brazauskas und Balcytis ist es nun, nach allem Hin und Her, doch wieder ein Sozialdemokrat, der die Fäden zusammenhalten soll. Die Abstimmung am 4.Juli erbrachte 85 Ja-Stimmen bei nur 13 Gegenstimmen.

Was lernen wir daraus? Etwa, dass Litauen - unter der Decke von brüchiger Zusammenarbeit unter den demokratischen Parteien - ein sich stabil entwicklendes Land ist? Oder, dass es die EU vielleicht noch eines Tages bereuen wird, den Euro in Litauen nicht einfach geräuschlos eingeführt zu haben? Jedenfalls werden deutsche Touristen an der Kurischen Nehrung, in Vilnius oder in Kaunas weiterhin nicht ohne Litas in der Tasche auskommen können. Und die Frage: "Wie lange wird die neue Regierung halten" ist vielleicht eine der unbeliebtesten Fragen im litauischen Lande zur Zeit.

Am 6.Juli feiert Litauen jetzt erstmal den Jahrestag der Krönung von König Mindaugas - vielleicht ein symbolischer Tag im richtigen Moment. Der neue Regierungschef heißt immerhin Gediminas mit Vornamen - nach dem litauischen Großfürsten, dem immerhin die Gründung von Vilnius zugeschrieben wird. Was Kirkilas aber in nächster Zeit wirklich erreichen kann, das wagt wohl gegenwärtig kaum jemand vorherzusagen.

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