28 Januar 2008

Wer hat Angst vor Litauern?

Angst vor litauischen Hausärzten in Großbritannien scheinen die britischen Ärzteorganisationen zu haben - so berichtet es auch das Deutsche Ärzteblatt. Großbritannien gehört ja zu denjenigen EU-Mitgliedsländern, die ihren Arbeitsmarkt schon 2004 für die neuen EU-Mitgliedsländer freigegeben haben. Und da laut diesem Bericht die britischen Ärzte zunehmend darauf verzichten, ihre Patienten auch abends und am Wochenende zu versorgen, soll es zunehmend Ärzte aus dem Ausland geben, die auf die britische Insel reisen um genau diesen Service anzubieten. Besonders stark vertreten sollen Ärzte aus Litauen und Polen sein. Bis zu 3.000 Euro kann so ein einziger Wochenend-Einsatz bringen.

Allerdings bietet nicht jeder Arzt individuell so etwas an, sondern es gibt kommerzielle Vertretungsdienst-Organisationen, die das übernehmen. Und dann kommt es dazu, was der britischen Ärzteorganisation Sorgen bereitet: „Viele polnische Hausärzte arbeiten Montag bis Donnerstag in ihrer eigenen Praxis in Polen. Freitag fliegen sie dann nach Großbritannien. Das kann Reisezeiten von bis zu zehn Stunden mit sich bringen“, so ein Sprecher der britischen „Patients Association“ (PA). „Die Ärzte kommen übermüdet an und die Gefahr ist groß, dass sie Fehler machen. Zumal viele nicht sonderlich gut Englisch sprechen,“ so zitiert das Ärzteblatt die Aussagen der Kolleg/innen im britischen Königreich.

Ganz andere Ängste haben Ökonomen offenbar um die Geschäftserfolge nordeuropäischer Banken. Das HANDELSBLATT überschreibt einen entsprechenden Beitrag vom 22.Januar mit "Der Norden zittert". Die Voraussage geht dahin, dass auch die bisher als krisensicher geltenden skandinavischen Banken noch in den Strudel der Bankenkrise geraten könnten. Grund: eine starke Ausrichtung dieser Banken zu Estland, Lettland und Litauen; damit verbunden werden eine möglicherweise zu leichtfertige Kreditvergabe, ein hohes Leistungsbilanzdefizit vor allem in Lettland (-22%) und Litauen (-14%), verbunden mit starken Lohnsteigerungen von bis zu 30%, die rekordhohe Inflation zur Folge hatten. Dem Handelsblatt zufolge mussten die Swedbank 40,5 Millionen Euro an Kreditverlusten in den baltischen Staaten einstecken, die SEB sogar 75 Millionen Euro.

23 Januar 2008

90 Jahre litauische Wiedergeburt

Schon sind die ersten Wochen des Neuen Jahres vergangen, und so langsam besinnen sich die zuständigen Stellen auf einige demnächst anstehende Gedenktage. Am 16.Februar 1918 wurde der unabhängige Staat Litauen wiederhergestellt. Am 11.März 1990 erklärte Litauen erneut seine Unabhängigkeit, und löste sich damit von der Sowjetunion. Und am 23. März 1918 wurde die souveräne Republik Litauen von Deutschland de jure als Staat anerkannt.

Baltisch sein - vom
Wesen dieser Sache
So lesen wir also jetzt vom "Essentia Baltica". Richtig: "Essentia", Lateinisch "das Wesen einer Sache". Geht das einen ähnlichen Trend wie das lettische Projekt "Balticness" (von der gegenwärtigen Ostseeratspräsidentschaft Lettlands ins Leben gerufen)? "Baltisch sein" statt "Baltikum" (wo die Litauer ja auch nicht dazugehören)? Somit heißt es auch "Baltica" und nicht "Baltikum".

Es war eine von Außenminister Steinmeier zusammengerufene Schar deutscher Kulturschaffender, die im Sommer 2007 mit auf amtliche Litauen-Fahrt gehen durfte. Zumeist genau diese Namen finden sich jetzt auch im amtlichen "Partnerschaftsprogramm": so stellt zum Beispiel Schriftsteller Sten Nadolny am 21., 22. und 23.Februar sein Buch "die Kunst der Langsamkeit" in Vilnius und Kaunas vor (leider nicht zusammen mit seinem anderen Titel "Netzkarte" - dann würde es aktuelle Probleme der Deutschen Bahn schön karikieren ...).

Was aber dürfen wir vom "Wesen der baltischen Sache" in Deutschland erwarten? Das litauische Außenministerium erklärt uns die Grundlagen dieser bilateralen Aktivitäten so: "This year Germany is holding the Year of Baltic Culture and Lithuania is holding the Year of German Culture." Also: Deutschland erklärt uns die "baltische" Kultur, und Litauen popularisiert die deutsche Kultur - welch wundersame Arbeitsteilung! Zumindest inneramtlich scheint dies so abgesprochen zu sein - auch wenn sich dies in den bürgerschaftlichen Aktivitäten (z.B. Deutsch-Litauisches Forum) überhaupt nicht widerzuspiegeln scheint.

Vilnius sein: von deutschen Ämtern nicht gern gesehen?

Dann also mal eine Frage an die deutschen Ämter: Warum nennt sich die Deutsche Botschaft in der litauische
n Hauptstadt weiterhin hartnäckig "Botschaft Wilna"? Und warum stört das niemand auf deutscher Seite? Die "deutsche Bezeichnung von Vilnius" ist das jedenfalls nicht. Dies zu ändern, und nicht zu verschweigen, wie die litauische Hauptstadt wirklich heißt, wäre doch eine schöne Aufgabe für ein "deutsch-litauisches Kulturjahr"! Und natürlich für das folgende Jahr der Europäischen Kulturhauptstadt Vilnius ...

Ein Grund für die "verspätete" Ankündigung der gemeinsamen Kulturpräsentation ist wiederum in einer Info des litauischen Außenministeriums zu finden: dieses Jahr fängt nicht am 1.Januar an. Offiziell eröffnet wird es erst am 15.März 2008 mit einem festlichen Konzert der
KREMERATA BALTICA in der Philharmonie Berlin. Nur mit geladenen Gästen? Jedenfalls ist der Besuch der vier Staatspräsidenten Adamkus, Köhler, Ilves und Zatlers vorgesehen.
Litauen selbst wird am 16.Februar eine Konferenz veranstalten unter dem Titel
'1918: Lessons and Mistakes. Relations among Lithuania, Poland and Germany during the Interwar Period and after the End of the Cold War’.
Und, nicht zu vergessen - denn EU und NATO spielen aus litauischer Sicht sowieso eine gleichstarke Rolle: am 7./8.Februar wird es auch ein informelles Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Vilnius geben; es ist anzunehmen, dass dort ebenfalls Neunzigfaches zelebriert wird.

Zum Weiterlesen:

Erklärung des litauischen Außenministeriums zu deutsch-litauischen Aktivitäten

Erklärung des litauischen Außenministeriums zum informellen NATO-Treffen

Rede von Bundesaußenminister Steinmeier beim Thomas-Mann-Festival in Nida im Juli 2007

Das Auswärtige Amt zu den kulturellen Beziehungen zwischen Litauen und Deutschland (bis zum heutigen Tage fehlen auch dort Hinweise auf "Essentia Baltica", und auch hier wird nicht der Name der litauischen Hauptstadt Vilnius, sondern "Wilna" verwendet ...)

Veranstaltungskalender der Botschaft Litauens in Berlin zu ESSENTIA BALTICA

Fakten zu Vilnius (Infoseite der Kulturhauptstadt 2009, engl.)

Info des lettischen Außenministeriums zum Projekt "Balticness" (engl.)