28 Oktober 2008

Wiedergeboren als Club der Vier

Schon einen Tag nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses der Wahlen zum litauischen Parlament haben sich vier Parteien haben sich zur Bildung einer neuen Regierung in Litauen zusammengefunden: die Vaterlandsunion (die litauischen Christdemokraten), die beiden liberalen Gruppierungen "Liberale Bewegung" und "Liberale und Zentrumsunion", und auch die "Fernsehstar-Partei" der "nationalen Wiedergeburt". Diese vier Parteien würden zusammen über 79 der 141 Sitze im Parlament verfügen. Die vier Parteichefs Andrius Kubilius, Arunas Valinskas, Eligijus Masiulis and Arturas Zuokas unterzeichneten eine Absichtserklärung zur Bildung einer neuen Regierung.
Das Wahlergebnis gründet sich allerdings auf weitgehendes Desinteresse des Wahlvolkes: nur noch durchschnittlich 32% nahmen an der 2.Wahlrunde teil.
Gediminas Kirkilas, Noch-Ministerpräsident und Chef der Sozialdemokraten, gab indessen bekannt, dass er seine Partei keineswegs als Verlierer sähe, da sie mehr Wählerstimmen bekommen habe als vor vier Jahren.

Als weiteres Ergebnis hat sich herausgestellt, dass im neuen litauischen Parlament weniger Frauen vertreten sein werden: 2004 hatten es noch 28 weibliche Abgeordete gegeben (20%), nun werden es voraussichtlich nur noch 22 sein (18%)

Die 141 Sitze des litauischen Parlaments sind nun unter den Parteien wiefolgt aufgeteilt:
Vaterlandsunion / Christdemokraten 44
Partei der Nationalen Wiedergeburt 16
Liberale Bewegung 11
Liberale und Zentrumsunion 8
Sozialdemokraten 26
Partei Ordnung und Gerechtigkeit 15
Arbeitspartei 10
sonstige zusammen 11

Postengerangel
Nun wird es in konkrete Koalitionsverhandlungen gehen, und dabei geht es - entgegen den meist in Deutschland geübten Sitten - gleich öffentlich um Ämter und Posten. Neben dem Regierungschef will die Heimatunion am liebsten auch den Finanz-, Wirtschafts-, Verteidigungs- und auch noch das Außenministerium selbst besetzen.
Gemäß Presseberichten erhebt die Wiedergeburts-Partei Anspruch auf vier, die Liberale Bewegung auf zwei Ministerämter, und beide möchten gleichermaßen eine/n Kandidat/in stellen für das Amt des Parlamentspräsidenten.
Angeblich soll auch die Neuschaffung des Amtes eines Energieministers noch in der Diskussion sein.

Famlienklatsch
Wer sich weniger für die politischen Taktiken interessiert, wird vielleicht eher verfolgen, dass drei "Familien" es ins Parlament geschafft haben:
- neben der Leitfigur der "nationalen Wiedergeburt", Arunas Valinskas, auch seine Frau Inga Valinskiene (ebenfalls Kandidatin derselben Partei)

- mit TV-Moderatorin Daiva Tamosiunaite und ihrem Mann Dainius Budrys gibt es noch ein weiteres Ehepaar bei den national Wiedergeborenen.

- Valentinas Mazuronis bringt seinen Sohn Andrius mit ins Parlament, beide in der Partei "Ordnung und Gerechtigkeit"

Agne Zuokiene, Frau des Spitzenkandidaten der Liberalen und Zentrumsunion und ehemaligen Bürgermeisters von Vilnius, Arturas Zuokas, hat nur um einen Platz den Parlamentseinzug verpasst. Falls noch jemand auf das Mandat verzichtet, kommt es also auch hier zu einer "Familienzusammenführung".

Infolinks:
Wahlergebnisse

Kandidatenlisten

Nachrichten des litauschen Radio und Fernsehens (LRT) engl.

24 Oktober 2008

Karolis im Westwind

Vielleicht haben YouTube-Fans und Litauen-Freunde bald ein neues, gemeinsames Lieblingsgericht: Weißbrot mit Apelmus. Das sind die Bilder, die Karolis Spinkis, 17 Jahre, der nun mit seiner Mutter in Ilmenau/Thüringen lebt, für seine Erinnerungen an die Kindheit in Litauen findet. Karolis hat einen Film gedreht ("dem Westwind entgegen") - und wie die Thüringer Landeszeitung meldete, ist dieser für die Preisverleihung des MDR-Yougendmedienpreises am kommenden Montag, den 27.Oktober 2008, im Landesfunkhaus Erfurt vorgesehen.

Wer den 8-minütigen Streifen sieht, und als Deutscher Litauen in jüngster Zeit kennengelernt hat, könnte folgende Gedanken beim Betrachten haben:

a) endlich mal ein junger Litauer, der sich in der Öffentlichkeit äussert! So können die Deutschen mehr über die litauischen Denkweisen und Mentalitäten erfahren!
b) Verglichen mit teuer produzierten Filmchen litauischer Werbeagenturen (meist sehr bunt & klischeehaft) ist dies aber besser, ehrlicher, und man erfährt auch etwas über die persönliche Perspektive.
c) Mensch, Karolis, wenn du im wirklichen Leben auch so auf die Dinge zugehst, wie Du im Film wirkst: da darf Deutschland noch etwas von litauischen Meinungsäußerungen erwarten! Nur zu!


Leider sind alle entsprechenden Links zu Preisverleihung 2008, zur Filmergruppe "Waschbärenbande", und in den Thüringischen Medien inzwischen aus dem Netz verschwunden. Schade!

19 Oktober 2008

"Ostalgie" in Litauen? Der neue Film "Balkon"

"Ach, es war ja nicht alles schlecht..." Ein Satz, den man in Litauen eigentlich nicht hört. Die "Sowejtzeit", das war die Zeit der Besetzung. Da waren die bösen Russen (denen auch die heutigen Machthaber und Gazprom entsprechen) und die heldenhaften litauischen Partisanen. Gelegentlich bekommt das Bild Risse durch litauische KGB-Reservisten oder durch die russische Unterstützung für Politiker, aber im Allgemeinen ist die Behandlung der Sowjetzeit als solche Tabu. Geschichten wie "Sonnenallee" oder "Good Bye, Lenin"? Unvorstellbar, vor allem als Verhöhnung derer die unter dem Regime gelitten haben. Und so freuen sich die alten Kader insgeheim, dass ein Großteil der Akten unerreichbar in Moskau liegt.

Jetzt ein ganz anderes Phänomen: Die Wiedergeburt des litauischen Films. Jedes Jahr gibt es mindestens einen, doch recht hochwertigen, litauischen Spielfilm im Kino: Von der Verfilmung des Buches "Der Götterwald" von Balys Sruoga - ein anderer Blick auf ein Konzentrationslager über kleine Businessgangsterfilme wie "Diringas" bis zum Schicksal der Emmigranten in "Unnütze Menschen".

Und jetzt auf einmal sowas: Ja, auch in der Sowjetunion haben "ganz normale Menschen" gelebt. Aus der Selbstdarstellung des Films: "Die Sowjetunion in den 80ern. Eine Kleinstadt an der Peripherie. In die Nachbarschaft der 11jährigen Emilija zieht nach der Scheidung der Elten der gleichaltige Rolanas [offensichtlich ein Russe] mit seinem Vater. Zwischen den beiden entsteht eine Beziehung jedoch auch Furcht nur durch die Wand, wenn jeder auf seiner Seite des Balkones sitzt oder über den Stromschalter. Auch Emilijas Eltern sind nah der Scheidung und die Kinder finden viel gemeinsames. Doch ein beinahe tragischer Unfall versperrt Emilija den Weg auf den Balkon und die beiden werden zu einem "richtigen" Treffen gezwungen."

Klingt auf jeden Fall nicht uninteressant und seit Monaten sind Freunde und Bekannte "heiß" auf diesen Film. Ob er die Erwartungen erfüllt, kann ich selbst erst sagen, wenn ich ihn gesehen habe, er ist nämlich gerade erst angelaufen. Ich bin mir fast sicher, dass die Hälfte der Kino-Besucher sagt "Super" und die andere Hälfte "Schwach", das ist nämlich immer so.

Gespannt darf man auch sein, was als nächster Film folgen wird. Und alle, können jetzt schon einen Filmsselbstdarstellung via You tube und die Filmhomepage

http://balkonas.wordpress.com/

sehen.

14 Oktober 2008

Nach der Wahl ist vor der Wahl ....


Auch einen Tag nach der Parlaments-Wahl ist in Litauen eigentlich nichts klar. Neben zahlreichen Zahlenspielen gilt es jetzt den zweiten Wahlgang am 26.10. abzuwarten.

Hier ersteinmal für die ganz ungeduldigen die Ergebnisse: "Gewinner" mit 19,5 % sind die Konservativen, gefolgt von der "Volkswiederauferstehungspartei" (15%), "Ordnung und Gerechtigkeit" (12,7%), den Sozialdemokraten (11,7%), und der "Arbeitspartei" (9%). Darüber hinaus haben es dann noch zwei liberale Parteien über die 5-Prozent-Hürde und in den Seimas geschafft.

Und jetzt sagt ich Euch, warum diese Ergebnisse erst einmal nicht weiterhelfen:
Zuallererst ist da das litauische Wahlsystem. Von den 141 Sitzen im Parlament werden 70 nach Listen (also den oben genannten Prozentzahlen bezetzt). 71 Sitze werden davon völlig getrennt in Direktmandaten bestimmt (also nicht irgendwie angerechnet). Und da werden in Litauen vor allem die vor Ort beliebten und bekannten Gesichter gewählt, die Parteizugehörigkeit spielt keine große Rolle. Von diesen 71 Sitzen wurden im ersten Wahlgang nur 4 Sitze besetzt.

Zweitens sind von den 7 Parteien im Parlament, 3 "Populisten", also Parteien ohne wesentliches Programm, die von ihrer Führungsperson abhängen: Die "Volksauferstehung" unter dem Fernsehmoderator Arūnas Valinskas (der unter anderem die litauische Variante von "Deal oder No Deal" moderiert), "Ordnung und Gerechtigkeit" unter dem abgestetzten Präsidenten Rolandas Paksas und die Arbeitspartei des russischen "Konserven-Millionärs" Viktoras Uspaskich.
Alle drei haben dann bereits in der Wahlnach mitgeteilt mit wem sie ausdrücklich nicht könnten (aus persönlichen Abneigungsgründen).

Zwar stehen die Zeichen darauf, dass der zukünftige Premier Andrius Kubilius heißen wird, also dass unter Führung der Konservativen eine Regierung gebildet wird. Es bleiben zwei Varianten: Mitte-Rechts - mit den Liberalen oder Links - mit den ehemaligen "Erzfeinden", den Kadern der Sozialdemokraten . Und welche der Populisten-Partein wird mitmachen?

Zwar ist Raum genug für Spekulationen - und was alle Berichte genug haben, sind Fragezeichen. Wie politikmüde die Litauer sind, zeigt sich nicht nur in der Wahlbeteiligung von gerade einmal 48,5%, die zudem durch das gleichzeitige Referendum über die Laufzeitverlängerung des billigen Stromlieferanten und Bruder von Tschernobyl, dem Atomkraftwerk Ignalina, hochgetrieben wurde, sondern auch darin, dass schon einem Tag nach der Wahl die Spekulationen um eine neue Regierung in den Medien nicht mehr an wichtigster Stelle sind.

Genaues weiß man eben noch erst nach dem 26., wenn auch die restlichen 67 Sitze im Parlament besetzt sind. Aber wenn den Litauern etwas überhaupt nicht liegt, dann eine pragmatische Sichtweise.

kleiner Nachtrag: Liste der zukünftigen Parlamentsmitglieder, soweit bekannt.
Eine andere Nuance des litauischen Wahlsystems ist, dass man nicht nur die Liste, sondern auch einen Listenkandidaten auswählen und somit die Reihenfolge ändern kann.
Wahlergebnisse (Staatliche Wahlkommission)


13 Oktober 2008

Litauen: der große Atombluff

Die ersten Ergebnisse des 1.Wahlgangs der Parlamentswahlen in Litauen trudeln ein - daraus ist zunächst nur erkennbar, dass eine Regierungsbildung nicht einfach werden wird. Aber auch ein anderes Ergebnis ist schon jetzt klar: an der "Volksabstimmung" über die Zukunft des maroden Atommeilers Ignalina nahmen nur 47,9% der Wahlberechtigten teil (mindestens 51% hätten es sein müssen, um eine gesetzliche Verbindlichkeit zu ereichen). Damit nahm die ganze aufwendig inszenierte Aktion nicht den von den Atombefürwortern erhofften Ausgang.

Wie auf der Webseite der staatlichen Wahlkommission nachzulesen ist, stimmten sogar 8,27% gegen die Laufzeitverlängerung, obwohl sie damit das Risiko eingingen, die Wahlbeteiligung soweit zu erhöhen, dass mit der Erhöhung der Beteiligung das Ergebnis als Pro-Atomkraft hätte ausgelegt werden können. Nur rund ums AKW selbst sank die Zahl der mit-abstimmenden Atomgegner auf 4,4%, überall sonst schwankt sie zwischen 7,5 und 9%, in einigen Stadtteilen von Vilnius sogar über 11%. Auch die Zahl derjenigen, die wissentlich oder unwissentlich ungültig abstimmten, ist mit 3,31% relativ hoch.

Damit haben die wahltaktischen Versuche, mit dem EU-vertragswidrigen Versprechen die angeblich technisch einwandfrei laufende Atomanlage einfach weiterlaufen lassen zu können, wohl auch politisch eine Niederlage erlitten. Welche Interpretationskünste die Atombefürworter nun finden werden, um eine relative Mehrheit der Abstimmungsteilnehmer nun doch noch zum "heimlichen Volkswillen" zu erklären, muss allerdings wohl offen bleiben.

Nicht nur litauische Umweltschützer hatten kritisiert, dass die parallel zur Parlamentswahl zur Abstimmung vorgelegte Frage wenig Auswahl übrig ließ.
Keine der größeren Parteien in Litauen hatten den umstrittenen "Deal" zum Bau eines neuen Atomkraftwerks vor der Wahl in Frage gestellt, der mit den Eigentümern der Supermarktkette "Maxima" und anderen Gesellschaftern des zukünftigen Atombetreibers "LEO LT"verabredet worden war. Parteiunabhängige Kritiker dagegen vermuten schon aufgrund des wenig transparenten Absprachen rund um "Leo LT" schlicht ein Profitstreben privater Investoren.

Bei "Maxima" übrigens waren schon beim Referendum um den EU-Beitritt für diejenigen, die ihre Beteiligung am Referendum per Stempel nachweisen konnten, kostenlos Waschpulver oder je eine Flasche Bier verteilt worden. Damals - die Litauer stimmten mit großer Mehrheit für den Beitritt - hatte die gesamte politische Elite Litauens auch einmütig die Schließung des Atomkraftwerks Ignalina befürwortet (eine Vorbedingung für Litauens Beitritt).

Es ist aber nicht die litauische Bevölkerung, die nun ihre Meinung geändert hätte, meinen nun litauische Umweltschützer. Die Funktionäre aller Parteien hätten vielmehr seitdem auf der faulen Haut gelegen und einfach keine alternativen Energiekonzepte entwickelt - denn sonst hätte ja jetzt über verschiedene Wege abgestimmt werden können. Die totale Abhängigkeit der litauischen Energieversorgung sei auch ein Teil des noch aus der Sowjetzeit verbliebenen Zentralismus und Größenwahns. Zunächst sei die Schließung des AKW Ignalina ja schon für 1994 vorgesehen gewesen - weitere lange Jahre seien nun vertan, ohne das die Verantwortlichen die wirklichen Probleme auch angepackt hätten.

Mehr Infos zur Sache:
Infos des österreichischen Umweltbundesamts zum KKW Ignalina

12 Oktober 2008

Litauen: Erste Gewinnerin des Abends

Nein, es sind noch keine Wahlergebnisse, die von litauischen Siegerinnen künden an diesem Abend. Es ist mal wieder ein sportlicher Erfolg, und zwar ein ziemlich überraschender: bei den Europameisterschaften im Tischtennis holte die 31-jährige Litauerin Rūta Paškauskienė den Titel.

Viel ist im deutschsprachigen Raum offenbar nicht bekannt über diesen neuen Sportstar Litauens:
Wikipeda weiß immerhin, dass sie 1977 in Kaunas geboren wurde. Kürzlich bei den Olympischen Spielen in Peking (siehe Foto) hatte sie lediglich die zweite Runde erreicht (also ein Spiel gewonnen) - den dort nachlesbaren Infos zufolge hat Paškauskienė früher auch schon mal in der deutschen Tischtennis-Bundesliga gespielt, gegenwärtig nun bei einem Club in Frankreich. In Peking verlor sie in der zweiten Runde gegen die Ungarin Krisztina Toth, die diesmal im EM-Halbfinale gegen Paškauskienės unterlegene Finalgegnerin Liu Jia (Österreich) verlor.

Ganz unbekannt ist die nun vergoldete Ping-Pong-Künstlerin (gegenwärtig Platz 90 der Weltrangliste) aber nicht: immerhin gewann sie 2007 im Mix gemeinsam mit dem Serben Aleksandar Karakasevic den Europatitel.
Die Webseiten des litauischen Olympiateams verraten etwas mehr über Paškauskienės Laufbahn, aber nur wenig über Erfolge im Einzel: 2006 war sie litauische Meisterin.

mehr dazu:

Ein Foto der Siegerin (yahoo-News)

Bericht "Neues Volksblatt" (Österreich)

Bericht "Kurier" (Österreich)

07 Oktober 2008

Wer geht zur Wahl?

Am kommenden Sonntag wird in Litauen ein neues Parlament gewählt. Weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten ging 2004 zur Wahlurne. Wofür setzen sich die Parteien und deren Abgeordnete ein, was wollen sie erreichen? Das ist in Litauen noch immer nicht einfach zu verstehen, wo doch Personen und kurzfristige Aktionen viel mehr Aufmerksamkeit erregen. "Spass, Spam und wenig Inhaltliches", so das Fazit etwa des "Standard" aus Österreich zum litauischen Wahlkampf.

Auch in Litauen hat die zentrale Wahlkommission nun ihr virtuelles Projekt auf - per Internet wählen bedeutet das noch nicht, aber das Ziel heißt hier: finde dein Wahllokal virtuell (Abbildung links).
Nur
46,8% der Wahlberechtigten gingen 2004 noch zur Wahl - allgemein ist nichts von einer wesentlichen Steigerung des Interesses zu vernehmen. Viele schütteln sich schon, wenn sie nur einen Kommentar zur Arbeit der eigenen Politiker/innen abgeben sollen. Da hilft nur eines (aus Regierungssicht): dramatisieren.

Plötzlich soll der Untergang Litauens bevorstehen. Einerseits wegen der russischen Vorgehensweise in Georgien ("die Urangst der Litauer vor den Russen" - so sieht es Hannes Gamillscheg in "
die Presse"), andererseits weil angeblich ohne Atomkraft in Litauen "das Licht ausgeht". Welche Konsequenz die Wähler aber aus dieser Lage ziehen - selbst wenn sie diese Szenarien für glaubwürdig halten - das bleibt unklar. Was soll ich bloß wählen? Soll ich überhaupt wählen?

Mitbestimmung nur dort, wo es der Regierung in den Kram passt?
Nebenbei ist aber noch regierungsamtlich verordnet worden, dass volksabgestimmt wird. Auch mal eine neue Variante: wo die politische Überzeugungskraft fehlt, installieren sich die Regierenden selbst eine Volksbewegung inklusive Volksabstimmung, passend zum Wahlkampf. Neue Konzepte zur Versorgung des Landes mit Energie ausarbeiten und umsetzen? Zu kompliziert. Vier Jahre Zeit, vier Jahre Klagen über die EU-Auflagen (deren Erfüllung einst Voraussetzung für den EU-Beitritt Litauens waren!).

Nun wird den Litauerinnen und Litauern eine schwer zu beantwortende Frage vorgelegt. Wörtlich: "Ich befürworte die Verlängerung der Betriebsdauer des Atomkraftwerks Ignalina für eine technisch sichere Periode, aber nicht länger als bis ein neues Atomkraftwerk fertiggestellt ist."
Den Wählerinnen und Wählerin - denen ja nun parallel zur Ausübung des demokratischen Wahlrechts diese Frage vorliegt - wird also vorgegaukelt, die Verträge mit der EU könnten nochmal nachverhandelt werden.

Unbekannte und bekannte Kandidaten
Immerhin lassen sich von den im Internet zur Verfügung stehenden Kandidatenlisten einige Informationen ablesen. Angaben zu Geburts- und Wohnort sowie Geburtsdatum finden sich bei jedem Kandidaten. Dazu kommen schriftlich dokumentierte Antorten auf Fragen zum Beispiel nach evtl. ausstehenden Gefängnisstrafen, ob man Bürger eines anderen Staates sei, oder etwa gar in Diensten fremder Staaten arbeite. Wer das säuberlich mit nein beantwortet hat, muss dann noch Angaben zum Schulabschluß öffentlich machen, auch zu Fremdsprachenkenntnissen, Name der Frau/des Mann es und der Kinder, und sogar zu Hobbies. Und es findet sich auch ein direkter Link zu Angaben zur Höhe des versteuerten Einkommens.

Auf diese Art und Weise lässt sich also - wen es interessiert nachlesen, dass Ministerpräsident Kirkilas gern Tennis spielt und dass seine Kinder Diana und Rolandes heißen, oder dass der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Parlamentspräsident Paulauskas sich als Literaturfan outet und 79512,56 Litas Einkommen versteuert hat.

Ob es das aber ist, was zur Wahlbeteiligung motiviert? Vorläufig sind noch die schein-demokratischen Wahlen in Weißrussland Thema politischer Kommentare, für die sich Litauen sehr interessiert hat. In einer Woche muss es dann wieder um das Geschehen im eigenen Lande gehen.

Infos:
Text des Refendums zum Atomkraftwerk Ignalina

Infos zum Litauischen Parlament

Litauische Wahlkommission (Wahlergebnisse 2008)

Kandidatenlisten der zur Wahl stehenden Parteien