02 Januar 2011

Die gefühlte und die tatsächliche Beliebtheit der Diplomatie

Litauen hat Großes vor im Neuen Jahr 2011: diplomatisch genießt die Präsidentschaft Litauens in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) höchste diplomatische Priorität - offenbar innenpolitisch wie außenpolitisch. 

Baustellen und Schwachstellen
Die Aufgabe wird nicht einfach werden. "Litauen erbt kasachische Baustellen" titelt "Der Standard" und meint damit die vorangegangene Präsidentschaft, der litauische OSZE-Sonderbeauftragte Giedrius Cekuolis habe eine lange Reihe sogenannter "eingefrorener Konflikte" auf dem Schreibtisch liegen - von Konflikten in Armenien, Aserbaidschan,  Moldawien / Transnistrien bis hin zu Russland und Georgien.
Gleichfalls sieht nicht nur "der Standard" diese Themen im Bereich der Zusammenarbeit im osteuropäischen Raum unter den Vorzeichen der notwendigen Verbesserung des Verhältnisses zu Russland. Dem entsprechend betont Litauen auch gern, erstes "baltisches" Land beim OSZE-Vorsitz zu sein - beim Verhältnis zu Russland aber hat der lettische Präsident Zatlers gerade das vollzogen, was bei seiner Kollegin Grybauskaite bisher noch auf dem Aufgabenzettel steht: einen offiziellen Besuch in Moskau. Und dass gerade in diesen Tagen der weissrussische Präsident Lukaschenko, kurz nachdem er sich in scheindemokratischen Wahlen eine weitere Amtszeit selbst beschert hat, nun das Büro der OSZE in Minsk schließen will (siehe Bericht Tagesschau), das macht die litauische Präsidentschaft auch nicht leichter. "Bei den Wahlen in Belorussland müssen die Standards der OSZE eingehalten werden", betonte die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite mehrfach bei ihren Staatsbesuchen im belorussischen Nachbarland.
Angesichts einer von vielen Beobachtern beklagten Machtlosigkeit der OSZE machen sich einige Medien auch ernsthaft Sorgen um die Sinnhaftigkeit des ganzen Tuns. Nach Ende des OSZE-Gipfel in Astana schlußfolgerte der SPIEGEL: "43 Millionen Dollar kostete die OSZE-Mammutveranstaltung in Kasachstan. Doch sie endete ruhmlos, weil Ost und West sich nicht einigen konnten, womit sich die Organisation überhaupt noch beschäftigen darf. Statt wiederbelebt zu werden, scheint der Patient nahezu tot."

Wie Umfragen zu Fragen werden
Das litauische Außenministerium versäumt es nicht, die Unterstützung der litauischen Öffentlichkeit für die OSZE-Präsidentschaft zu betonen, und zitiert in einer Pressemitteilung eine Umfrage, der zufolge 43% der Befragten Litauer die litauische Präsidentschaft für "nützlich" einstufen. Ob diese Zahl allein vertrauensbildend sein kann - das wird beim Blick auf viele andere, ähnliche Umfragen derselben Firma ("Vilmorus") deutlicher. Interessant sind da zum Beispiel Ergebnisse auf die Frage, welchen Institutionen in Litauen überhaupt Vertrauen engegengebracht wird: 78% misstrauen dem litauischen Parlament, 77,3% den Parteien, 60% der Regierung (Untersuchungszeitraum 3.-12.Dezember 2010). Vertrauen dagegen genießen lediglich Feuerwehr und Rettungsdienste (zu 89,9%), und auch die litauische Präsidentin (72,6%). Der litauischen Kirche vertrauen noch 55,9% der Menschen, der Polizei 39,2% (Zahlen derselben Umfrage).
Eine ähnliche Umfrage der Firma "Vilmorus" (aus dem gleichen Zeitabschnitt) benennt Beliebtheitswerte von insgesamt 19 litauischen Politikerinnen und Politikern - Außenminister Audronius Ažubalis taucht hier gar nicht auf. Ist er im eigenen Land so unbekannt?? Oder wird bei einer Umfrage nach einer "Präsidentschaft" Litauens vielleicht bei den Befragten erstmal angenommen, das OSZE-Thema sei in der Durchführung dann auch eher eine Sache für die eigene Präsidentin? (die in der Beliebtheitsskala der litauischen Politiker mit weitem Abstand führt - ebenfalls Untersuchungen von "Vilmoris").

Aber interessante Ergebnisse haben diese Umfragen ja immer - neben einer Grundskepsis gegenüber allzu großer Zahlengläubigkeit. Das litauische Außenministerium nennt in derselben Pressemitteilung, in der die "große öffentliche Unterstützung" für die OSZE-Präsidentschaft betont wird, auch andere Ergebnisse. Zum Beispiel seien 46% FÜR eine Erweiterung der Europäischen Union (EU) um weitere Mitglieder (26% sind dagegen). Interessant nur, WEN sich die litauischen Befragten als Kandidaten für diese Erweiterung wünschen: neben der Ukraine vor allem DIE SCHWEIZ und NORWEGEN - da haben wohl die entsprechenden Projektfinanzierungen aus diesen Ländern ihre Wirkung nicht verfehlt.
Es braucht nur noch zwei weitere Jahre, um weitere Illusionen zu nähren: dann übernimmt Litauen die EU-Präsidentschaft ...

2 Kommentare:

nikasto hat gesagt…

Apropos EU-Wunschbeitrittsländer Schweiz und Norwegen: Das hängt wohl weniger mit den Projektfinanzierungen zusammen, die kaum ein Litauer kennt, als mit dem Umstand, dass in Litauen die Schweiz schon immer einen hohen Stellenwert hatte (Unabhängigkeit eines kleinen Landes, Litauische Studenten und Emigranten in der Schweiz, usw.). Und in Norwegen leben zur Zeit zigtausend litauische Zeitarbeiter und Emigranten.
"43% der befragten Litauer stufen die litauische (OSZE) Präsidentschaft für "nützlich" ein." Ob 43% der Litauer überhauft wissen, was es mit der OSZE auf sicht hat?

Albert Caspari hat gesagt…

Ich bin mit da nicht so sicher, ob die vermehrten Co-Finanzierungen niemand in Litauen kennt. Infos zu Norwegen sind z.b. hier nachzulesen: http://www.eeagrants.org/id/2305.0

Einerseits sind diese Gelder auf die EU-Programme abgestimmt und mit der EU ausgehandelt, andererseits greifen sie genau da, wo eine zu einseitige Förderung von rein ökonomischem Wachstum die Schwächen und Lücken hinterlässt: bei kulturellen und sozialen Projekten und Themen, und bei ökologischen Initiativen.

Die Geberländer haben dabei immer ein Interesse, zumindest entsprechend gut in der Presse der Empfängerländer da zu stehen. Und ein wenig aus eigener Erfahrung gesprochen: es ist für zivilgesellschaftliche Initiativen viel einfacher, sich nach den Förderkatalogen von Instutionen aus dem Ausland zu richten, als sich an das moralische Gewissen eigener Politiker zu richten.
Und sogar deutsch-litauische Initiativen berichten teilweise, dass sie in Deutschland keinerlei Möglichkeit sehen, für ihnen bekannte Projekte in Litauen eine deutsche Co-Finanzierung zu bekommen - sie werden auf groß dimensionierte EU-Programme verwiesen, oder sie sammeln private Spenden.
Wer seine Projektidee dann trotzdem gern verwirklichen möchte - da kommen z.B. die Norweger ins Bild.

Dennoch ist es eigentlich richtig: wenn es nur denjenigen in Litauen nützt, die sich zu speziellen Interessen- und Projektgruppen zusammengeschlossen haben, was weiss dann der "normale Litauer" davon? - Aber zumindest wundert es mich eben nicht, wenn eben gerade die Namen DIESER beiden Länder dann doch bei Umfragen angekreuzt werden ...
(im Gegensatz zu der Frage nach der OSZE waren hier die Antwortmöglichkeiten vielleicht sogar nicht mal so eng vorgegeben)