24 Februar 2011

Starke Weiblichkeit

Ausnehmend weibliche Kunst hat seit der gestrigen Eröffnung Einzug gehalten bei der Galerie "Mare Liberum" am Hansaplatz 8 in Hamburg. Die Figuren und Objekte der litauischen Künstlerin Juratė Kazakeviciūtė lassen die Betrachter nicht lange im Ungewissen: eine betont weibliche Sichtweise wird geboten, dabei in einer so leicht verständlichen künstlerischen "Sprache" dargestellt, die manche Besucher unsicher werden lässt - so erzählt die Künstlerin. "Wer sich weniger mit sich selbst, dem eigenen Körper, und der Normalität anderer Körper auseinandergesetzt hat, dem können meine Figuren auch manchmal Angst machen," gibt sie zu. Nein, es geht hier ausdrücklich nicht um das Herausstellen weiblicher Schönheit. "Ich bin dagegen, alles immer nur nach dem Maßstab von Barbiepuppen darzustellen," sagt Kazakeviciūtė

Aber  auch wer nur an den Schaufenstern der Galerie vorbeiflanieren sollte, hat hier etwas verpasst. Ungleich vieler anderer Austellungen ist hier nämlich "anfassen erlaubt". Es sind nicht einfach Puppen oder Skulpturen, die sich hier dem Betrachter darbieten, es sind mühsam aus verschiedenen synthetischen, weichen (weiblichen) Stoffen aufgebaute Körper, in allen Gliedmaßen mit Draht versehen, so dass sich Körperhaltung, Blickrichtung und Stellung verschiedener Figuren zueinander verändern lassen. Eine Berührung der Oberfläche gleicht beinahe einer Hautberührung. Jede neue Ausstellung, jede Raumumgebung kann so auch dieselben Figuren in ganz andere Beziehung zueinander setzen.  
Fast besorgt fragt Juratė Kazakeviciūtė, die aus dem litauischen Druskininkai stammt und in Kaunas studierte, Publikumsreaktionen ab. "Ja, manchmal werde ich gefragt, warum ich so 'hässliche" Figuren mache. Aber ich finde sie nicht hässlich! Es sind alle wie meine Kinder." Kazakeviciūtė's Frauen blicken - fast wie zum Kommentar - verträumt ins Nirgendwo. Vielleicht werden sich Besucher - sollten sie sich allein befinden in der kleinen Galerie Mare Liberum - vielleicht wirklich ganz für sich allein mit diesen Figuren unterhalten können. Ganz für sich, Männer wie Frauen. Die Ausstellung ist noch bis zum 25.März 2011 geöffnet.

16 Februar 2011

Heidelberg flaggt

Heute, am Jahrestag der litauischen Unabhängigkeitserklärung vom 16.Februar 1918, hängt die litauische Flagge vor dem Rathaus von Heidelberg. Warum? Städtepartnerschaften gibt es zwar in Heidelberg auch, aber (noch) nicht mit baltischen oder litauischen Partnern.

Damit soll ein Zeichen der Völkerverständigung in einem zusammenwachsenden Europa gesetzt werden, heißt es in einer Erklärung der Stadtverwaltung. Und weiter wörtlich: "Viele Menschen aus Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU)  leben und arbeiten in Heidelberg. Das hängt mit Heidelbergs internationaler Ausrichtung und mit den zahlreichen weltweit beachteten Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen in Heidelberg zusammen. Die EU-Bürger/-innen fühlen sich in Heidelberg wohl und tragen entscheidend zu der besonderen Atmosphäre der Toleranz bei, die in Heidelberg herrscht."

An den Nationalfeiertagen aller EU-Mitgliedsstaaten hisst die Heidelberger Stadtverwaltung vor dem Rathaus die Nationalflagge des entsprechenden Landes sowie die europäische Flagge.
Ganz im Gegensatz dazu müssen aber offenbar andere Dezernate der Stadtverwaltung noch viel dazulernen: so weist der "Bericht zur sozialen Lage in Heidelberg" (im Internet als PDF in der Fassung mit angeblichem Stichtag des 31.12. 2006 erhältlich) Litauer noch unter "Nicht-EU-Ausländern ehemaliger SU-Staaten" aus und schmeisst diese in einen Topf mit Armenien, Aserbeidschan, Estland (!), Georgien, Kasachstan, Krigisien, Lettland (!), Republik Moldau, Russische Förderation, Tatschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Belarus zusammen. Alle die für eine solche Darstellung Verantwortlichen sind wohl heute mal besonders aufgefordert, sich zur litauischen Fahne und zum EU-Mitgliedsland seit 2004 ein paar mehr Gedanken zu machen ....

Immerhin gibt es aber in Heidelberg auch eine Förderung in Höhe von bis zu 1500Euro für integrationsfördernde Veranstaltungen (siehe Infos des Ausländerbeirats) - sicher eine gute Unterstützung für interkulturelle Gruppen, die sich selbst und ihr Herkunftsland in Heidelberg einmal darstellen möchten.
2007 wurde außerdem auch schon einmal Herausragendes zwischen Heidelberg und Litauen prämiert: die Litauerin Angele Jelagaite wurde mit dem DAAD-Preis für ausländische Studierende aufgrund exzellenter akademischer Leistungen und besonderes kulturelles und soziales Engagement ausgezeichnet und setzte sich für die Hochschulpartnerschaft zwischen der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und der Universität Vilnius ein.

13 Februar 2011

Wertestarre

Seit Jahrzehnten wird viel über Werte diskutiert,in den Feuilletons wie in der Politikwissenschaft. Während es in den Gazetten eher um moralische Aspekte eines erwünschten Wohlverhaltens geht, ist aus wissenschaftlicher Sicht der Wertekanon einer Gesellschaft auch wichtig für die Funktion des Staatswesens. In den 80er Jahren wurde der seit der 68-Bewegung einsetzende Wertewandel (Ronald Inglehart) diskutiert und als Werteverfall (Elisabeth Noelle-Neumann) von konservativen Apologeten in Frage gestellt.

Mancherorts änderten sich die Dinge langsam, so wurde den Frauen das Wahlrecht im Schweizer Kanton Appenzell Innerrhoden erst 1990 zugestanden, nachdem die Verweigerung der Mehrheit der Männer gerichtlich als verfassungswidrig eingestuft worden war. In anderen umstrittenen Fragen wie dem Schwangerschaftsabbruch oder auch der Ehescheidung gibt es in den demokratisch regierten Ländern sehr unterschiedliche Regelungen.

Auffällig ist unter dem Strich nur, daß Liberalisierungen in katholisch beeinflußten Ländern länger gedauert haben. Hier wurde das Frauenwahlrecht teilweise erst später eingeführt als in der Türkei. Für Abtreibungen gibt es einen regen Tourismus und in Irland blieb Paaren, die sich auseinandergelebt hatten, lange nichts anderes übrig, als eben einfach getrennt zu leben. Auffällig ist aber auch, daß in den sozialistischen Diktaturen Osteuropas manches schon viel früher viel freier gehandhabt wurde. So kam es nach der Wiedervereinigung 1990 zu heftigen Debatten im Bundestag über die Abtreibungsregelung.

Samuel Huntington prognostizierte mit the chlash of civilization zu Beginn der 90er Jahre, künftig würden Konflikte nicht mehr zwischen Staaten oder Ideologien ausgetragen, sondern zwischen Zivilisationen, die sich genau in solchen Werten unterschieden. Dies schien 9/11 zu bestätigen. Und so müßten die diversen christlichen Kulturen Europas eigentlich die abendländische Zivilisation ausmachen.

Zwischen diesen Ländern gibt es freilich viele Gemeinsamkeiten, dennoch haben sich trotz aller ideologischen Bemühungen in 50 Jahren Diktatur in den Gesellschaften der post-sozialistischen Staaten in vielen Punkten im Vergleich zu Westeuropa archaische Einstellungskomplexe erhalten. Das gilt für das Verständnis der Rolle von Mann und Frau besonders; hier ist die Frau, die neben dem Vollzeitjob den Haushalt alleine versorgt und sich um die Kinder kümmert, nicht selten. Aber es gibt auch eine sehr ablehnende Haltung gegenüber Andersartige in jeder Form. Das betrifft Studenten anderer Hautfarbe ebenso wie Homosexuelle.

Aus Rußland ist dies vielleicht durch die Medien bekannt, aber auch in den baltischen Ländern fliegen bei Homosexuellen-Paraden Eier und Tomaten. Die Veranstaltungen kommen ohne Polizeischutz nicht aus. Aber nicht genug damit, daß sich viele Menschen im Baltikum für liberal halten, wenn sie der Meinung sind, es sei ihnen egal, was andere im Bett machen, aber man müsse ja auf der Straße nicht die Bevölkerung mit seiner „kranken“ Orientierung brüskieren. In Lettland gab es lange sogar ein Internet-Prtal „no-pride“.

Litauen fällt nunmehr in der Europäischen Union auf, weil die Parlamentarier gesetzlich gegen homosexuelle vorgehen wollen. Dem setzte sich einstweilen die neue Präsidentin Dalia Grybauskaitė entgegen. Die im Land populäre, unverheiratete Politikerin war vorher Kommissarin der EU-Kommission in Brüssel.

Jüngst hat nun das EU-Parlament die derzeitig konservative Regierung Litauens aufgefordert, Jugendlichen freien Zugang zu Informationen über Homosexualität zu ermöglichen. Hintergrund war, daß die Politiker in dem baltischen Land bis hin zu Romanen, in denen Homosexualität eine Rolle spielt, durch Zensur das Erscheinen zu verhindern suchten. Dies, so die EU-Parlamentarier, widerspreche der EU-Grundrechtecharta und stehe sogar im Widerspruch zur litauischen Verfassung. Die Abgeordneten sahen sich außerdem genötigt darauf hinzuweisen, es handele sich hier nicht um eine Einmischung in innere Angelegenheit, sondern alle EU-Staaten zu Achtung, Schutz und Förderung der Menschenrechte verpflichtet seien und es keine Anhaltspunkte gebe, daß sexuelle Aufklärung die Orientierung junger Leute beeinflusse. Ein solcher Hinweis klingt merkwürdig, doch in der Tat halten im Baltikum viele Menschen Homosexualität für eine „moderne“ Lebensform, zu welcher man junge Menschen „überreden“ könne.

Trotzdem bleibt das Leben für Homosexuelle im Baltikum schwierig. In Litauen wird immer wieder versucht, Paraden zu verbieten; und hinter dieser Entscheidung stehen laut Umfragen drei Viertel der Bevölkerung. In Lettland sind Verbote ebenfalls ausgesprochen worden mit dem Argument, die Behörden seien angesichts der zu erwartenden Proteste nicht in der Lage, die Veranstaltung zu schützen. Die Richter haben sich in diesen Fällen allerdings rechtsstaatlicher geriert als die Volksvertreter und haben die Paraden zugelassen.