29 September 2011

7.000 Euro für die Stubenfliege

Für Povilas Kavaliauskas bildete vermutlich endweder das litauische Landleben, oder die jugendliche Forscherlust den Rahmen für seinen Erfolg als Nachwuchswissenschaftler. Ein Preisgeld von 7.000 Euro war der Jury des 23.europaweiten Wettbewerbs für Nachwuchswissenschaftler die Forschungsergebnisse des erst 18-jährigen Kavaliauskas wert - damit gehörte er neben zwei jungen Kollegen aus Irland und der Schweiz zu den drei Gewinnern des Hauptpreises dieses Wettbewerbs. Kavaliauskas hatte sich als Thema die Rolle der Hausfliege (musca domestica) bei der Übertragung von gegen Antibiotika resistenten Bakterien ausgesucht. Er hatte in seinem Forschungsaufriß dieses Thema als "eine der wichtigsten Herausforderungen des 21.Jahrhunderts" bezeichnet und damit offenbar nicht zu hoch gegriffen. Eines seiner Erkenntnisse ist unter anderem, dass solche Bakterien von Stubenfliegen nicht über große Distanzen übertragen werden können, und damit die größte Gefahr tatsächlich in Krankenhäusern besteht. 

22 September 2011

Litauen, von Autos unfrei

Litauen ist die wahre Autonation - das stellt die "Auto-Presse" heute fest. Nein, nicht weil in den litauischen Medien umfangreich über die Frankfurter Automesse IAA berichtet wird. Auch nicht, weil heute eigentlich ein europäischer autofreier Tag sein könnte. Es ist eine europaweit vergleichende Statistik über die Personenbeförderung im Inland, die auch beim Statistischen Bundesamt zitiert wird. 
Demnach sind es 91% aller Fahrten, die in Litauen mit dem Auto gemacht werden (Deutschland 85%, Lettland 81%, Estland 79%). Auch wenn offenbar weder die Straßenbahnen in diese Statistik nicht mit einfließen, noch die touristischen Fahrten - es scheint etwas ganz besonderes zu sein, in Litauen ohne Auto zu leben. Da stört die Tatsache nicht, dass Litauen auch bei der Unfallstatistik ganz weit vorn liegt.
Soviel als Nachruf auf den angeblich autofreien Tag. Noch schnell ein Blick in den litauischen Teil der "European Mobility Week", die stolz 14 teilnehmende Regionen aus Litauen ausweist, um die umweltfreundlicheren Transportweisen fördern möchte. Aber dazu bedarf es offenbar wenig, denn konkrete Verbesserungen weist hier niemand aus. Mal ist es ein Fahrradausflug (Klaipeda), ein Fahrradslalom (Palanga), nordic walking an Schulen (Kedainiai), oder öffentliche Fahrradausleihe (Šiauliai). Seltsam nur, dass sich diese ruhmreichen Aktivitäten kaum in der Internetdarstellung der betroffenen Städte spiegeln. Na ja, ist ja auch schon wieder vorbei, der autofreie Tag. Immerhin prägen Fahrraddemos ab und zu das Stadtbild - nicht nur in Vilnius - wie dieses Bild aus Šiauliai zeigt.

10 September 2011

Notizen im Basketballfieber

Zumindest die Basketball-Fans könnten doch die Gelegenheit mal nutzen, in diesen Wochen der Europameisterschaft mal Litauen zu besuchen. Zwar war von den Vorrundenspielen in Šiauliai auch zu lesen, dass dort Top-Teams wie Spanien auch schon mal vor nur 500 Zuschauern gespielt haben, aber gibt es auch andere Notizen, abseits des rein Sportlichen? 

Bei uns ist Basketball Religion - auch den Satz hat man schon etwas zu oft gelesen. Interessanter ist da schon ein Satz aus der FAZ: "Was Brasilien für den Fußball ist, ist Litauen für den Basketball". Oder auch - im selben Beitrag zu finden: "Ein Land will zeigen: hey, uns gibt es auch!"

Ungewöhnliche Alltagserlebsnisse eines EM-Besuchers in Litauen sind dagegen eher bei "Parkettgeschichten" zu lesen - neben der Spielberichterstattung natürlich. Hier berichtet Marcel Friedrich direkt vor Ort, und zunächst einmal von Anreiseschwierigkeiten: Marcel bleibt bei spätabendlicher Ankunft beinahe auf dem Flughafen in Kaunas hängen, und Marcel beschreibt es so, als sei der namentlich genannte "Martynas R." sein unzuverlässiger Betreuer bei einer litauischen Reiseagentur. Dessen Rolle - ob nun eher Organisationschef oder doch Journalistenkollege - bleibt etwas unklar, und so sind die ersten etwas missmutigen Notizen vielleicht eher deutschen Perfektionismusdrang zuzuschreiben.

Interessanter ist da schon, was Marcel aus Šiauliai schildert, nachdem er erstmal ordentlich ausgeschlafen hat. Nun, wie alle die zum ersten Mal in Litauen sind, fällt im die Veränderung der Namen auf: der deutsche Dirk heißt nun Dirkas. Zum zweiten gibt es ironische Bemerkungen über das nicht sehr ausgedehnt vorhandene Nachtleben in Šiauliai - die Bürgersteige werden früh abends hochgeklappt, um 21 Uhr macht die Tankstelle zu: aber immerhin hängen sogar an den Preisschildern der Tankstelle überall Basketballkörbe. Dann ein Schock: beim Versuch, im Supermarkt sich mit alkoholischen Getränken eindecken zu wollen, ist diese Abteilung abgesperrt und unzugänglich. Was ist das? Auch die freundlichen litauischen freiwilligen Helfer wissen keinen Rat. Marcel googelt und findet heraus, dass am 1.September 1993 die sowjetische Armee aus Litauen abzog, und daher der 1.September so eine Art Feiertag sei. "Nur gut, dass dieser Feiertag nicht auf den 18.September (den Tag des Endspiels) fällt!" notiert Parkettblogger Marcel erleichtert. 

Zumindest bis morgen - dem entscheidenden Spiel Litauen gegen Deutschland - wird Marcel noch weiterbloggen. Was ihm noch aufgefallen ist in Litauen bisher? Offenbar hat die Kommerzialisierung von touristischen Sehenswürdigkeiten zumindest während der EM Fortschritte gemacht, und Gästen wird am "Hügel der Kreuze" nun erzählt, es wäre Brauch dort erst ein Kreuz zu kaufen um es dann der gewaltigen Sammlung hinzuzufügen. Na ja. Aber Marcel Friedrich versäumt auch nicht zu bemerken, dass ein Ticket der EM unter 30 Euro nicht zu haben ist, und Litauer seinen Informationen nach zwischen 300 und 600 Euro im Monat verdienen. Sein anfänglicher Groll auf Litauen ist inzwischen offenbar differenzierter Betrachtung gewichen. Und ein Dankeschön für die vielen freiwilligen Helfer ist da auch noch drin. Na dann, weiter noch viel Spaß - obwohl eine von beiden Mannschaften, entweder Lietuva oder Dirkas, ab übermorgen anders planen muss ...

NACHTRAG: Na ja, und dann erwischte es leider beide, schneller als erhofft. Aber erstaunlich die Ergebnisse unserer Vorab-Umfrage: die einzigen, die es wagten ein konkretes Team als Europameister vorauszusagen, und nicht auf Litauen schwörten, wählten Spanien ...

02 September 2011

Der Korb hängt hoch

85% der Leserinnen und Leser dieses Blogs glauben fest daran, dass Litauen die Basketball-Europameisterschaft, die nun bis zum 18.September in Alytus, Šiauliai, Kaunas, Klaipėda, Panevėžys und Vilnius ausgerichtet wird, auch selbst gewinnen kann.Ob das gelingt, muss abgewartet werden. Klar ist jedoch, dass Litauen nicht allein auf den sportlichen Erfolg setzt.

Positiv denken
Wer erinnert sich noch daran, dass im vorletzten Jahr Vilnius europäische Kulturhauptstadt war? Im Gegensatz zu den Gästerekorden in Tallinn dieser Saison schlingerte Litauen noch mitten in der Wirtschaftskrise. Zudem ging damals Litauens Airline pleite, plötzlich waren viele Reisemöglichkeiten blockiert. Aus deutscher Sicht gesehen, ist - abgesehen vielleicht von der Kurischen Nehrung - Litauen noch nicht so recht auf der touristischen Landkarte angekommen. Das soll nun die Basketball-EM ändern. Die Schließung der gemeinsam mit Estland und Lettland betriebenen Tourismuszentrale in Berlin lieber gar nicht erwähnen - und auf zu neuen Ufern. In sofern könnte das Wunsch-Halbfinale aus dieser Sicht lauten: Russland, Frankreich, Deutschland und Litauen, die vielleicht touristisch vielversprechendsten Nationen. 

Deutscher Dirk, litauische Hoffnung
Wie sieht es aus deutscher Sicht aus? Kann Litauen von deutscher Basketball-Begeisterung etwas gewinnen? Einiges spricht dafür, dass der Effekt sehr begrenzt bleiben wird.
Nowitzki, Nowitzki. Allein dass keines der EM-Spiele im öffentlich-rechtlichen, also im frei zugänglichen Fernsehen zu sehen sein wird, spricht schon gegen eine erhöhte Litauen-Aufmerksamkeit. Auch Berichte von "vor Ort", also aus Alytus oder
Panevėžys - Orte von denen meines Wissens nach noch nie ein deutscher Fernsehreporter berichtet hat - es sieht nicht so aus, als ob eines der vielen Spartenmagazine diese aktuelle Chance nutzen wollte. Vorberichte in deutschen Zeitungen? Ja. Der "Kurier" in Österreich findet es bemerkenswert, dass die EM in Litauen die zahlenmäßig stärkste ist (mehr Mannschaften als vorher), und dass es einen eigenen EM-Song gibt. Vielleicht stellt es schon ein Entgegenkommen dar, dass die österreichische Sportpresse nicht auch noch die kürzlichen litauisch-österreichischen Verstimmungen nachklingen lässt?
30.000 Gäste werden angeblich erwartet - das unterstreicht die touristischen Hoffnungen, denn die Sommersaison ist ja schon vorbei. "Litauen hofft auf rentable Basketball-EM" unterstreicht auch "Eurotopics" und lässt damit durchklingen, dass selbst ein zufriedenstellender Gästestrom zunächst einmal nur die vorab getätigten Investitionen ausgleicht.
DIE ZEIT stellt heraus, dass Basketball in Litauen "Religion" sei: "Drei Millionen Litauer wollen den Titel". Es folgen erfreulich kundige Bemerkungen zum litauischen Basketball, zur Basketballschule von Arvydas Sabonis, und die These: "Basketball ist der einzige Grund warum die Welt weiß, dass Litauen überhaupt existiert."
Ein wenig mehr auf die Situation im Lande geht die "Süddeutsche Zeitung" ein. Die Atmosphäre in Litauen sei ein wenig mit dem Fußball-Rausch in Deutschland des Jahres 2006 zu vergleichen. Ist das realistisch, oder entspricht das nur dem deutschen Ansinnen, alle Maße der Welt immer mit Fußballfeldern zu messen? "Im strömenden Regen warteten Tausende von Menschen", wird hier für deutsche Leser berichtet. Na immerhin, mehr warten wohl auch nicht vor einem Spiel der deutschen Basketball-Bundesliga. So schätzt es auch BBL-Geschäftsführer Jan Pommer ein, der optimistisch auf einen Popularitätszuwachs für Basketball in Deutschland durch die beiden Erstliga-Aufsteiger Bayern München (ein Markenname) und Würzburg (Heimatort Nowitzkis) hofft. Aber das wäre ja eher von einem möglichst guten deutschen Abschneiden abhängig. Zumindest die Litauer in Deutschland werden wohl bis zum18.September auf ihr Heimatland setzen - wo bisher die realistische Einschätzung regierte, vielleicht doch eher im Fußball sich noch verbessern zu können um litauisches Aufsehen auch in Deutschland zu erregen.

Sportmigranten
"Basketball als Tor zur Welt" - ein solcher Wahlspruch scheint realistischer und weist wohl einerseits hin auf die Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten litauischer Basketballer (sechs der aktuellen 12 Mitglieder des Nationalteams spielen in Vilnius oder Kaunas, die anderen im Ausland)."Basketball ist für die Litauer heilig", betont auch die Neue Züricher Zeitung und ergänzt aber süffisant, Artikel 14 der litauischen Verfassung garantiere aber Glaubens- und Gewissensfreiheit. Den Erfolg der EM würde eher die ungewöhnlich hohe Zahl von Profis aus der US-Liga NBA garantieren, so die Einschätzung. Die andere Einschätzung ist, dass die erste Hürde für Litauen das Spiel gegen Spanien sein könnte - immerhin 10% unserer Blogleser tippen auch auf einen spanischen Erfolg. Ginge es nach europäischen Kriterien, so hätten vielleicht auch die Griechen noch Nachholbedarf an Jubel. Aber allein mit einem Erfolg als Veranstalter werden sich die Litauer sicher nicht zufrieden geben.