21 Februar 2013

Wem helfen EU-Fördergelder?

Wie sieht die Europabilanz für Litauen eigentlich aus? Mal abgesehen von der beliebten Diskussion um die Landwirtschaft - nutzt Litauen die Möglichkeiten der verschiedenen EU-Förderprogramme aus? Zur Zeit kursieren dazu sehr unterschiedliche Einschätzungen.

Wer profitiert vom EU-Geld?
"Litauen führt EU-Rangliste bei der Inanspruchnahme von EU-Finanzmitteln an" - das läßt sich in der "EU-Infothek" nachlesen.Hier wird vor allem eine aktive Inanspruchnahme von Mitteln der Regionalpolitik geschildert: für den Zeitraum 2007-2013 seien bereits 3.239 Projekte umgesetzt und über 3 000 weitere Projekte beantragt worden. Zusammengenommen macht das, diesen Angaben zufolge, eine hübsche Gesamtsumme von 6,885 Mrd.Euro aus. Erwähnt wird dabei auch, dass 2009 das Pro-Kopf-BIP bei 58 % des EU-Durchschnitts lag (und im Krisenjahr 2009 um 14.8% abstürzte) - Litauen ist damit eine sogenannte "Konvergenzregion", also das "Aufholen" gegenüber den anderen EU-Staaten wird besonders gefördert. Eine Rechnung der "Wirtschaftswoche" zufolge wäre Litauen eines derjenigen Netto-Empängerländer, die am meisten von EU-Zahlungen profitieren.
Dieser Darstellung vom rein positivem Wirken der EU-Gelder stehen Berichte wie in DIE WELT vom 3.Februar: hier wird Litauen als Beispiel scheinbarer Verschwendung von Geldern genannt. Bauen mit EU-Zuschuß - mit dem guten Argument verbesserter Energieeffizienz - dass sei in Litauen häufige Praxis. Gut angelegt, mag da jeder denken, denn Litauen setzte lange auf die veraltete Atomenergie und muss besonders effektiv mit den vorhandenen Energieressourcen umgehen. Einziger, aber entscheidender Schönheitsfehler offenbar: im Resultat wird bei den Bauträgern offenbar nicht mehr so genau hingeschaut, ganz nach dem Motto: Hauptsache Wirtschaftswachstum! "Hier wird nur in Beton investiert", sollen sich schon EU-Abgeordnete geäußert haben.

Regional, national und ganz egal ...?
Ebenfalls eine kritische Innenansicht der litauischen Regionalpolitik äußern Michele Knodt und Sigita Urdze in einem kürzlich erschienenen Beitrag für ihr Buch "Die politischen Systeme der baltischen Staaten". Die beiden Buchautorinnen stellen für Litauen - ähnlich wie für Estland und Lettland - fest, dass meistens die zentralstaatliche Administration über die Details der Politik entscheidet. Dies widerspreche teilweise sogar den Richtlinien der Europäischen Union, denn eigentlich sei Dezentralisierung und eine gleichzeitige Stärkung von Bezirken und Kommunen das Ziel gewesen. Besonders unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise sei dieses Ziel aber schnell aufgegeben worden, heißt es hier. Knodt/Urzde weisen die zunehmende Vernachlässigung der litauischen Regionen an Beispielen der Entwicklung seit Mitte der 90er Jahre nach. Als die Europäische Kommission 1997 für Litauen ein völliges Fehlen jeglicher Konzepte der Regionalpolitik konstatierte, habe Litauen nur ein Jahr später mit Richtlinien zur Regionalpolitik und dann mit der Annahme der "European Charter on Local Self-Governance" reagiert. Ab 2000 seien EU-Gelder zur Verfügung gestellt worden, um diesen Anpassungsprozeß zu unterstützen, die Zuständigkeiten seien vom litauischen Innenministerium zum Finanzministerium übertragen worden. Aus dem hier Geschilderten ist zu entnehmen, dass die Aufmerksamkeit der EU zugunsten starker Eigenständigkeit der Regionenn nach dem EU-Beitritt 2004 stark nachließ: danach sei es vielfach ausreichend gewesen, wenn die EU-Gelder, die für die litauischen Regionen gedacht waren, direkt der Zentralregierung zukommen. Diese rechtfertigte dann zum Beispiel Wirtschaftsförderung in den Regionen als "Regionalpolitik" - ließ dabei die Mitbestimmung von Bezirken und Gemeinden dabei außen vor. Die nationalen Regierungen - auch in Lettland und Estland - hätten dabei diese Vorgehensweise mit dem schlichten Verweis auf ihre Landesgröße begründet: zu klein, um regional zu differenzieren.

Wie bei vielen anderen Aspekten der Europapolitik ist also auch beim Stichwort der "Regionalpolitik" Vorsicht und genaueres Hinschauen geboten, was hier eigentlich gemeint ist.  Für Litauen bleibt einstweilen nur das unter dem Stichwort "regional = erfolgreich" stehen, was litauischen Europapolitikern dem Land an EU-Fördergeldern gesichtert haben. Zwei Fragezeichen bleiben vorerst: eines bei der Frage, ob diese Gelder auch den litauischen Regionen außerhalb der Städte zu Gute gekommen sind, und ob diese Regionen gegenüber der Regierung zu ihren eigenen Belangen ausreichend Mitsprachrecht haben.

Mehr Geld, weniger EU-Abgeordnete
Litauen hat im Rahmen des gerade frischausgehandelten EU-Haushaltsbudgets 44,5 Milliarden Litas für Litauen ausgehandelt - so vermeldet es der Pressedienst der litauischen Präsidentin und das Portal "euro.lt". Gemäß diesen Angaben wird damit der nach Litauen fließende Anteil des EU-Haushalts künfitg um 10% höher ausfallen. Direktzahlungen an litauische Landwirte sollen sogar um 70% steigen - bis zum Jahr 2020 auf 196 Euros (676 Litas).

Vorerst machen sich litauische EU-Abgeordnete allerdings auch Sorgen darüber, dass ihr Land in Kürze einen Sitz im EU-Parlament verlieren wird (15min.lt). Die neuesten Bevölkerungsstatistiken werden hier herangezogen, und innerhalb der letzten 10 Jahre haben rund eine Halbe Million Litauerinnen und Litauer ihr Land vorläufig oder längerfristig verlassen. Statt 12 werden künftig noch 11 litauische EU-Abgeordnete darüber nachdenken können, wie Fördergelder so eingesetzt werden können, dass die eigene Bevölkerung vor Ort auch etwas davon hat.

16 Februar 2013

Die Steuernsuchmaschine

Einigen Medienberichten zufolge beabsichtigt die litauische Steuerbehörde, den Service von Google-Streetview in Anspruch zu nehmen um Steuersündern auf die Spur zu kommen (AFP, Die Presse, Die Zeit). Im Grunde eine Kurzfassung von litauischen Presseberichten (z.B. Delfi.lt, Lietuvos Rytas), ohne aber Inhalte der Diskussion in Litauen ebenfalls wiederzugeben. Also reales Vorhaben, oder vielleicht nur ein wirksame öffentliche Drohung, die auch ohne wirkliche Realisierung abschreckend wirkt? Eine Werbemaßnahme der Behörden in eigener Sache, um möglichst modern zu wirken? Oder nur eine häufig abgeschriebene, ziemlich kurz geratene und nachgedruckte Pressemeldung?

Während den einen das Vorhaben wohl schon aus prinzipiellen Gründen des Datenschutzes supekt erscheint, wittern die anderen eine Förderung des Denunziantentums, möglicherweise sogar noch in Beamtenstatus. Artūras Klerauskas, einer der obersten Beamten der litauischen Steuerbehörde, gibt schon praktische Tipps und geht noch über Streetview hinaus: "Viele haben ja ein Smartphone, und ob wir Steuerbetrügern nun durch Streetview, durch einen Anruf oder ein uns zugesandte Foto entdecken - wir gehen jedem Fall nach." (LRytas) Oder gar nur ein Werbetrick von Google selbst - die Streetview in Litauen erst seit 2 Wochen anbietet und mit schönen Schlagzeilen darauf aufmerksam machen möchte?

Wer sich zum Beispiel Vilnius per Streetview anschaut wird festellen dass es dort auch bereits einige "verpixelte" (unkenntlich gemachte) Stellen und Häuser gibt.
Ausblick für Litauen: Aha! Schöne Villa, frisch renoviert: schon Steuern gezahlt, Herr Anonymičius?
Oder sollte man das Thema einfach mal fantasievoller angehen? Statt auf Hausbesetzer zu warten, Besitzer von mutwillig leerstehenden und ungenutzten Häusern abmahnen? Würde sich die öffentliche Meinung ändern, wenn nicht die "kleinen Leute" angeblich im Visier der unbeliebtesten aller Behörden wäre, sondern die angeblich "dicken Fische"?
Was haben die litauischen Behörden eigentlich bisher gemacht, bevor Street View ihnen eine so bequeme Recherchemöglichkeit gab? Vielleicht träumt da jemand von Dienstwagen mit (gesponserter) Google-Kamera auf dem Dach? Näheres dazu ist leider bisher wenig nachzulesen - die Schlagzeile reicht.