30 Oktober 2013

Von Vilne nach Vilnius

Bibliotheksdirektor Andreas Degkwitz begrüßte die 
Gäste im Namen der Veranstalter
"Die Geschichte meines Landes ist ohne die Geschichte der litauischen Juden nicht denkbar." So sagte es Deidivas Matulionis, Botschafter Litauens in Deutschland, zur Eröffnung einer Tagung mit dem Titel "Vilno - Wilna - Wilno - Vilnius". Zwei Tage trafen sich Wissenschaftler und Interessierte in den Räumlichkeiten der Adenauer-Stiftung in Berlin, um aktuelle Forschungsprojekte zur Frage der jüdischen Kultur, ihrer Vergangenheit, dem Holocaust und den Spuren in der Gegenwart auszutauschen. Vorangegangen war eine Auftaktveranstaltung im Jakob-und-Wilhelm-Grimme-Zentrum in Berlin, zu dem auch Davidas Geringas, einer der bekanntesten Musiker Litauens, zusammen mit Tänzerin Emi Hariyama vom Staatsballett in Berlin ihren Beitrag geleistet hatten.

Kulturminister Šarūnas Birutis und 
Botschafter Matulionis als aufmerksame Zuhörer
Grimmscher Märchen auf Jiddisch 
Eine "Topographie zwischen Moderne und Mythos" versprach die Veranstaltung zu liefern. Das lässt - gerade in Berlin - an die "Topographie des Terrors" und damit an die massenhafte Ermordung der Juden in Litauen zu Zeiten des 2-Weltkriegs denken. Bei der Eröffnung mühten sich die angereisten litauischen Politiker, Verbundenheit zu zeigen mit dem Schicksal der litauischen Juden: wenn schon das "litauische Jerusalem" unwiderbringlich verloren scheint, so gilt es ganz besonders, heute einzustehen für eine Aufarbeitung des Geschehens und eine Stärkung dessen, was noch da ist oder neu im Entstehen begriffen ist in Vilnius. So beeilte man sich also zu versichern, die Rechte aller Minderheiten seien im heutigen Litauen gesichert. Stolz weist man auf vorhandene Denkmäler und Gedenksteine und -tage hin, auf Litvaken-Kongresse und Gedenkreden der Präsidenten Litauens und Israels. "Vielfalt bedroht nicht die litauische Identität" - erneut ein Satz von Botschafter Matulionis, der andauernde Diskussionen in Litauen nur erahnen lässt. Unumstritten dagegen die kritische Rückschau auf die Sowjetzeit: "die Nazis haben das Judentum physisch vernichtet, die Sowjets geistig" - solche Statements konnte man auch von Seiten Holocaust-Überlebender, die nach dem Krieg in Litauen blieben, hören.

Von wieder aufzubauenden jüdischen Gebäuden und von zukünftigen Sommerlagern für die jüdische Jugend sprachen Artūras Zuokas, Bürgermeister von Vilnius, und Kulturminister Šarūnas Birutis. Vertretern des jüdischen Litauen wie Emanuelis Zingeris war es wichtig zu betonen, dass Informationen zur jüdischen Kultur inzwischen auch Stoff in litauischen Schulen geworden sei. Historikerin Ruth Leiserowitz erinnerte sich daran, 1997 erstmals mit deutschen und litauischen Historikern zu diesem Thema diskutiert zu haben - die Aufarbeitung des Themas in der litauischen öffentlichen gesellschaftlichen Diskussion werde daher sicher noch einige Zeit dauern, meinte sie.

Wissenschaftler wie der Historiker und Buchautor
Christoph Dieckmann stellten in Berlin Erkenntnisse
aus ihren Forschungsarbeiten vor
Die hauptsächliche Ausrichtung der gesamten Veranstaltung schien eher auf einer Zusammenfassung des aktuellen Standes der Wissenschaft zum Thema des jüdischen Vilnius zu liegen. Dabei wird ein Teil der Problematik schon im Städtenamen deutlich: "Vilne" ist Vergangenheit, Wilna war die polnische Stadt - Zusammenwachsen müssen die zukünftigen Interessen in Vilnius. Ob die litauisch-jüdischen Sympathiebekundungen der Politiker im heutigen, demokratischen Litauen Realisierungschancen haben - das muss wohl bei anderen Veranstaltungen, dann möglichst in Vilnius, diskutiert werden.

Bekannte Gesichter unter Interessenten am 
jüdischen Vilnius: Historikerin Ruth Leiserowitz
(geb. Kibelka, links) und Kulturwissenschaftlerin
Anna Lipphardt
Die Veranstaltung war auch als Auftakt weiterer Zusammenarbeit der verschiedenen Organisatoren gedacht, die sich hier zusammengefunden hatten - die Motivation hierzu wurde besonders stark von Julius H. Schoeps, Direktor des Moses-Mendelssohn-Zentrums mit Sitz in Potsdam, vertreten. Die zwei Tage in der Adenauer-Stiftung hätten ansonsten auch als konzentrierten Blick auf die Beziehungen zwischen dem jüdischen Berlin und Vilnius gelten können - ein Teil derjenigen Referenten, die andere deutsche Bezüge hätten berichten können, war nicht präsent (entweder nicht eingeladen, oder unpässlich). Bleibt also zu hoffen, dass die durch demokratische Grundlagen gestärkte Diskussion um das jüdische Vilne in Zukunft selbstverständlicher wird in einem modernen Vilnius - je nach Perspektive mit notwendiger schmerzlicher Erinnerung, oder auf einen selbstkritischen Blick aufbauendes gestärktes Selbstbewußtsein.