29 Juni 2014

Litauische Gallier

Dass in Litauen dieses Wochenende ein ganz besonderes sein könnte, ist den internationalen Presseschlagzeilen nur schwer zu entnehmen. War es den Regierungen in Estland und Lettland gelungen, vor Einführung des Euro den politischen Lauf der Dinge als "alternativlos" hinzustellen, so stört die innenpolitische Situation in Litauen noch eine mit Hilfe von 300.000 Unterstützerunterschriften erfolgreich durchgesetzte Volksabstimmung an diesem Sonntag.

Zwar steht nicht der Beitritt zum Euroraum zur Abstimmung, aber wenn eine Mehrheit der Litauerinnen und Litauer sich heute gegen die Möglichkeit des Landverkaufs an Ausländer aussprechen würde, so wäre doch eines der viel zitierten Grundsätze des gemeinsamen EU-Markts gekippt.
Für die Außenpolitik Litauens ein Störfaktor. Die Zeitschrift "Freitag", eine der wenigen Blätter die das Thema überhaupt eines Beitrags wert hielten, erklärt denn auch gleich die Litauer zu "Galliern des Ostens". Alle anderen halten es wohl für äußerst unwahrscheinlich dass die wichtigste Bedingung für eine Gültigkeit des Referendums erfüllt wird: mehr als 50% der Wahlberechtigten müssen sich an der Abstimmung beteiligen - eine Hürde, an der in der Vergangenheit schon verschiedene andere Volksabstimmungen gescheitert sind.

Jetzt, zu Beginn der Ferienzeit, sollen also alle zu den Wahlurnen eilen? Wirklich unwahrscheinlich. Alle reden über die Ukraine, über die Zustände in Russland, vielleicht auch über die Unzulänglichkeiten der litauischen Politik, die viele dazu zwingt ihr Auskommen im EU-Ausland zu verdienen. Aber über die Zustände zu schimpfen, oder sie versuchen zu ändern, das waren schon immer zwei unterschiedliche Dinge. Da bleibt auch dem "Freitag" nichts als ironisch zu spekulieren: "wer weiss, möglicherweise entpuppen sich die Litauer doch als Gallier, denen ihre Druiden magische Tränke brauen können, welche plötzlich totale Lust auf Stimmabgabe verleihen." Seit Mittwoch bereits ist die Stimmabgabe möglich, und alles deutet auf eine eher niedrige Beteiligung hin. 

Der aktuellen EU-Politik würde dieser Vergleich sowieso nicht entsprechen: auch in Frankreich ist die aktuelle Politik weit davon entfernt, mutige Demokraten als Leitfiguren hervorzubringen (EU- und Euro-Gegner erträumen sich vielleicht auch eher eine litauische "Farage"-Variante, nicht gallisch, sondern very britisch ...). Aber die meisten Litauer werden sich auch nicht einfach den plumpen EU-Hassern anschließen wollen, die besonders auf einigen Internetseiten sehr aktiv sind. Die 300.000 Stimmen zur Durchführung des Referendum scheinen mehr ein Appell an die eigene Regierung zu sein, Litauen möge auch in der EU bitte schön den Mut haben einen eigenen Weg zu gehen.

Litauische Wahlkommission 

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Nachtrag:  Einer Mitteilung der litauischen Wahlkommission zufolge nahmen am 29.Juni 379.915 Wahlberechtigte, das entspricht 14,97%, an der Volksabstimmung teil. 268.920 der Abstimmenden befürworteten dabei die vorgelegte Gesetzesinitiative (72,83%), 100.249 (27,16%) lehnten sie ab. Damit wurden die 50% Beteiligung, die gesetzlich vorgeschrieben sind um das Referendum für gültig zu erklären, klar verfehlt, und mit 268.920 Befürwortern wurden sogar weniger Ja-Stimmen gesammelt als sich vorher für die Durchführung der Abstimmung per Unterschrift eingesetzt hatten.

03 Juni 2014

Nach der Wahl: die Posten und die Kosten

Die litauischen Repräsentanten fürs EU-Parlament sind gewählt, die Präsidentin darf weitermachen - da ist es wohl Zeit, nun unangenehmere Fragen auf die Tagesordnung zu bringen: die Kosten fürs Militär sollen erhöht werden. Der gegenwärtige Haushalt sieht 0.8% der zur Verfügung stehenden Mittel für Verteidigung vor - das wollen Regierung und Präsidentin bis 2020 ändern. Die häufig erwähnten 2% Militärausgaben gelten in NATO-Kreisen zwar nicht als Pflichtzielsetzung, wohl aber als Vergleichsmaßstab.

Präsidentschafts-Gegenkandidat Balčytis hatte sich in diesem Punkt zuletzt zurückhaltender gezeigt, in dem er argumentierte, jegliche Hast zur Erhöhung der Militärausgaben sei unbegründet, schließlich befinde man sich nicht im Krieg. Balčytis soll allerdings Litauens neuer EU-Kommissar werden - so wollen es die regierenden Sozialdemokraten, und müssen, sollte dieser Vorschlag Realisierungschancen haben, auf Kompromisskurs mit der Präsidentin gehen. Am Europawahltag entstand die kuriose Situation, dass Sozialdemokrat Zigmantas Balčytis bei zwei Wahlen gleichzeitig antrat: als Kandidat fürs EU-Parlament und fürs Präsidentenamt. Die Sozialdemokraten erreichten 17,26% und zwei Sitze - einen weniger als bisher. Ex-Sozialministerin Vilija Blinkevičiūtė, ebenfalls seit 2009 EU-Parlamentarierin, bekam sogar mehr Stimmen als ihr Kollege Balčytis.

Einige bekannte Politikerinnen und Politiker werden jetzt also ihren Weg im Europaparlament fortsetzen. Rolandas Paksas gehört dazu, vor 10 Jahren vom Parlament als Präsident abgesetzt, seitdem wirken viele seiner Wahlkämpfe immer noch wie Feldzüge für seine persönliche Rechtfertigung. "Tvarka ir teisingumas" (Ordnung und Gerechtigkeit) heisst konsequenterweise seine Partei, deren 14,25% Stimmenanteil diesmal nur für einen EU-Sitz reichten (bisher 2).

Auch Viktor Uspaskich(as) ist in Litauen sattsam bekannt. Ob als sogenannter "Gurkenkönig" und erfolgreicher Unternehmer, Ex-Wirtschaftsminister, der wegen einer gefälschten Diplomurkunde zurücktreten musste, oder als von der litauischen Staatsanwaltschaft Beschuldigter, der - um der Verhaftung zu entgehen - auch schon mal für über ein Jahr nach Russland floh. 12,81% Stimmanteil für seine "Darbo Partija" (Arbeitspartei) reichten um sein EU-Parlamentsmandat zu erneuern.

Auch Valdemar Tomaševski arbeitet nach erfolgreicher Wahl für die litauische polnische Wahlaktion bereits seit 2009 im Europaparlament und war dort bisher Mitglied der Fraktion "Europäische Konservative und Reformisten" die als "Euroskeptiker" gelten (Mitglieder sind auch die britischen Konservativen und die polnische PiS). 8,05% der gültigen Stimmen und damit wiederum einen Sitz.

Den litauischen Christdemokraten (Tėvynės sąjunga - Lietuvos krikščionys demokratai) gelang es zwar um wenige Hundert Stimmen, wieder stärker als die Sozialdemokraten aus den Wahlen hervorzugehen, aber die 17,43% reichten gleichfalls nur für zwei Sitze. Somit darf also Ex-Außenminister Algirdas Saudargas seinen EU-Sitz behalten und wird nun durch einen Nachkommen der landesweit bekannten Familie Landsbergis unterstützt: Gabrielius Landsbergis ist, was den Bekanntheitsgrad seiner Familie angeht, vielleicht ähnlich den von Lambsdorffs in Deutschland einzuschätzen. Und im Gegensatz zu allen politischen Nachkommen von Willy Brandt ist er ein echter Enkel - von Vytautas Landsbergis, dem Urgestein der litauischen Unabhängigkeitsbewegung. Im Wahlkampf musste sich Gabrielius wehren gegen Anfeindungen, der "Landsbergis-Clan" würde hier seine Interessen ins Trockene bringen - aber die Wählerinnen und Wähler seiner Wahlliste setzten ihn noch vor Saudargas auf den ersten Platz, und damit auch vor die beiden Spitzen-Frauen auf der christdemokratischen Liste: Laima Liucija Andrikienė und Radvilė Morkūnaitė-Mikulėnienė waren bisher im EU-Parlament, die Wiederwahl aber scheiterte diesmal.

Somit gibt es tatsächlich bis auf eine Sozialdemokratin keine Frauen für Litauen im Europaparlament. Mit 16,55% überraschend viele Stimmen erreichte die Liberale Union      (Lietuvos Respublikos liberalų sąjūdis) und errang damit zwei Sitze. Einer davon geht Antanas Guoga, auch "Tony G" genannt, ein professioneller Pokerspieler, der schon mehrere Millionen Dollar bei Pokerturnieren gewonnen hat; weitere Kenntnisse sind von ihm nicht bekannt, außer dass er als Kind auch mit dem Zauberwürfel ganz gut gewesen sein soll. Der zweite EU-Sitz geht an Petras Auštrevičius, einen erfahrenen Diplomaten und Politiker. Nur auf Platz 3 setzten die Wählerinnen und Wähler den eigentlichen Spitzenkandidaten der Liste, Ex-Bildungsminister Gintaras Steponavičius.
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Und ein Mandat ging auch an die gemeinsame Liste Bauernpartei & Grüne, die damit neu im EU-Parlament sein werden. Gewählt wurde Ramūnas Karbauskis, ein Agrarunternehmer. Offenbar hat die Partei aber vor, dieses Mandat an Bronis Ropė, den zweitplazierten auf der Wahlliste und Bürgermeister von Ignalina, abzugeben.