02 April 2015

Mindestens? Litauen!

Wenn es nach den Berechnungen der sogenannten "Mindestlöhne" in Europa geht, findet sich Litauen eher am Ende der Skala. Aber angesichts dieser Statistiken ist es auch eine Überlegung wert, was sie eigentlich aussagen.

Statistische Erhebungen macht in der EU in der Regel "Eurostat". Damit ist zumindest eines gesichert: in jedem Land wird dieselbe Fragestellung angewendet. Bei der jüngsten Veröffentlichung zu den Mindestlöhnen findet sich Litauen auf dem drittletzten Platz wieder (von 24). Dahinter (darunter, von der Summe her gesehen) befinden sich nur noch Bulgarien und Rumänien. Für Litauen wird ein Mindestlohn von 300 Euro festgestellt (Lettland 360€, Estland 390€, Deutschland 1473€). In Deutschland ist ja eher der Stundenlohn Gegenstand der Diskussion: 8,50€ pro Stunde wurden kürzlich regierungsamtlich festgelegt. Diese kann aber nur funktionieren, weil sie mit der sogenannten "Berichtspflicht" verknüpft ist - alle Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern weniger als 3.000€ monatlich zahlen sind verpflichtet, die genauen Arbeitszeiten zu protokollieren. Maximal zulässig sind in Deutschland 348 Arbeitsstunden monatlich - das sind selbst bei 31 Tagen im Monat mehr als 11 Arbeitsstunden pro Tag. Litauen dagegen berechnet monatlich: die 300 Euro würden auch bei nur 8 Stunden pro Tag (x31) einen Stundenlohn von etwa 1,20 Euro "Mindestlohn" ergeben. So erscheint es noch logischer, warum so viele Litauer im EU-Ausland auf Jobsuche gehen müssen.

Doch Eurostat variiert die eigenen Statistiken ja auch selbst noch zweimal. Bezogen auf die Durchschnittsverdienste in den jeweiligen Staaten liegt der litauische Mindestlohn hier bei 53%, heißt es hier (Estland 40%, Lettland 50%, Deutschland 49%). Es gibt ja auch die Meinung, die Definition von "Armut" wäre bereits bei allen anzusetzen, die weniger als 50% des Durchschnittslohnes bekommen.Seit 2008 ging der Mindestlohn demzufolge nur in Griechenland zurück - in Litauen stieg er um 29%, in Lettland +57%, in Estland +40%.
Und dann rechnet Eurostat noch einen "Kaufkraftstandard" aus. Dort sollen dann "Preisniveau-Unterschiede" berücksichtigt werden. So gerechnet, landet Lettland plötzlich im Mittelfeld der Euro-Länder - der Mindestlohn von 360€ hat laut Eurostat einen "Kaufkraftwert" von 507 Euro. Estland landet, dieser Rechnung zufolge, bei 488€, Litauen bei 464€. Deutschland liegt auch nach dieser Rechnung übrigens weit vorn: mit 1481€ auf Platz 2 nach Luxemburg.

Aus deutscher Sicht wäre es interessant, mal umgekehrt darüber nachzudenken: wie fühlt sich das an, in Litauen zu arbeiten? Was brauche ich mindestens? Zwei Tipps dazu. Der eine stammt vom "Jugendnetz", einem von mehreren Jugendstiftungen betriebenen Infoportal. Hier findet sich eine Liste von "Lebenshaltungskosten", die für den Fall eines Praktikums oder Studiums im Ausland hilfreich sein sollen. Berücksichtigt werden hier: Getränke, Tabak, Nahrungsmittel, Bekleidung und Schuhe, Heizung, Wasser, Strom, Ausgaben in Hotels und Gaststätten, Aus- und Weiterbildung, Kraftfahrzeug-Betriebskosten, Gesundheitsausgaben. Für Litauen werden hierfür 300€ monatlich angesetzt (Lettland 400€, Estland 600€) - mit einem deutlichen Verweis auf das (teure) Leben in den Hauptstädten allerdings.
Nehmen wir nun eine der Quellen, das "European Job Mobility Portal" (EURES), so finden sich hier noch Angaben in Litas: 854Litas pro Haushalt und Monat (das wären knapp 270Euro) auf dem Lande und 923Litas (290€) in der Stadt. Allerdings bezieht sich das ausschließlich auf das Allernotwendigste: Lebensmittel, Wohnen, Wasser, Strom, Gas und andere Energieträger, für Gesundheitsvorsorge und Bildung. Freizeitgestaltung, Kultur und Vergnügen kostet extra.

Litauische Haushalte gaben (bezogen auf 2012) ein Drittel (33,7 %) aller Konsumausgaben für Lebensmittel aus. Wachsende Ausgaben für Lebensmittel werden auch dadurch beeinflusst - Zitat EURES - "dass die Einwohner häufiger zu Hause essen – die Ausgaben für Cafés, Restaurants und Mensen sanken." Bei Studierenden aus dem Ausland werden die Gewohnheiten sicher gern anders organisiert. 19,4% der Ausgaben in den Städten muss dann für Wohnen, Wasser, Elektrizität, Gas zurückgehalten werden. EURES fasst die Folgen so zusammen: "Mit dem Ansteigen der notwendigsten Ausgaben bei nahezu nicht gewachsenem Einkommen, sparen die Einwohner bei der Wohnungseinrichtung und Haushaltsausstattung, Freizeit, Kultur, Cafés und Restaurants." 

Tja, keine super Voraussetzungen, um in Litauen auch Litauerinnen und Litauer kennenzulernen: Während die Einheimischen aus ihren Vorräten zu Hause etwas zubereiten (wenn sie nicht gleich im Ausland arbeiten gehen müssen), sitzen die Auslandsstudenten und Touristen in den litauischen Restaurants und Kneipen, mit den Augen wahrscheinlich auf Preisvergleiche mit Deutschland. Schade eigentlich. Ironisch gesagt: daran kann auch Putin nichts ändern. Bevor es Litauen wirklich im europäischen Vergleich "gut" geht, ist noch viel zu tun!