25 Februar 2016

Essen für alle

Wer Litauen kennt und mag, wird sich vielleicht nicht so sehr wundern dass es immer wieder Themen gibt, wo es gar nicht so klar ist, in welche Richtung man sich eigentlich mehr Sorgen machen soll um Litauen: es gibt einfach verschiedene Sichtweisen. Wer dabei stärker auf die vor 25 Jahren wiedererkämpfte Unabhängigkeit Litauens schaut, könnte dabei heute vor allem froh sein, dass es diese Unabhängigkeit ÜBERHAUPT GIBT - im Hinblick auf die vielen komplizierten internationalen Entwicklungen und Verwicklungen, die sich seitdem aufgetan haben. Andere erwidern darauf: ja, richtig, aber mit dem Beitritt zur EU haben wir dann ja unsere Unabhängigkeit auch schon wieder aufgegeben.

Nichts von dem, was sich gegenwärtig in Europa so tut, erzeugt dabei viel Beruhigung hinsichtlich dessen, welche Konsequenzen eine negative Entwicklung für Litauen hätte. Gut, die einen meinen, Litauen vor Flüchtlingsströmen und Muslimen abschotten zu müssen, um Negatives zu vermeiden - oft ohne beides richtig zu kennen. Noch bedrohlicher erscheinen die militärischen Szenarien: aus litauischer Sicht war die Entwicklung in der Ukraine ein wichtiges Zeichen auch dafür, was gegenwärtig von einer russischen Regierung unter Putin zu erwarten ist: gewissermaßen der Versuch der Rettung von "Einflusssphären", und damit auch eine Reanimation von Stimmungen und Tendenzen, die zuletzt das Sowjetsystem für sich beanspruchte. Andere Stimmen, zumeist von europäischen Partnern Litauens, wie auch Deutschland, warnen eher vor dem "Aussen-vor-lassen" Russlands, möchten diese europäische Großmacht nicht zu absehbaren Gegenreaktionen treiben - weshalb auch lange Zeit ein offensives Agieren von NATO- oder US-Truppen in Litauen als Tabu galt.

Nun haben sich ja seit Einführung der gegenüber Russland ausgesprochenen "Sanktionen" schon seit mehreren Jahren die eher Putin-kritischen Stimmen eigentlich in der EU durchgesetzt. Und seit März 2014 sind die wegen des Vorgehens auf der Krim verhängten Sanktionen nicht wieder aufgehoben worden, zudem gibt es immer mehr Übungen von NATO-Soldaten in Litauen. Die Perspektive mancher Litauer hat sich offenbar mit verschoben: galten früher noch die Gegner von Sanktionen als irregeführte "Russland-Versteher", so soll gleiches Prädikat nun offenbar auch denen verliehen werden, die überhaupt über Möglichkeiten der Aufhebung dieser Sanktionen nachdenken. "Besser ohne Russland Politik machen als unter Russland", verkündete Vytautas Landsbergis kürzlich in der "WELT", Ex-Staatschef Litauens und heutiger EU-Parlamentarier. Er zielt dabei bewußt auf Deutschland, und vermutet dort eine "unterwürfige Politik des Rückzugs". 

Ok. Wir müssen uns wohl ab jetzt daran gewöhnen, dass manche nur darauf gewartet haben, dass unsere Madame Merkel international als nicht mehr so stark gesehen wird (durch ihre vermeintlich einseitige Flüchtlingspolitik) - um nun ihre eigenen Süppchen als Patentrezepte verteilen zu können. Verglichen mit den möglichen Folgen von Zersplitterung Uneinigkeit und parallelen Gesellschaften, die in der Ukraine bereits Realität geworden sind, tut sich in Litauen bisher vergleichsweise Harmloses. Was machte da noch gleich kürzlich in Litauen aus dem militärischen Bereich Schlagzeilen? Die Essensverteilung.

Was ist da los? Werden die Soldaten nicht vernünftig ernährt? Wo haben die einen vielleicht böser Absichten Russland, und die anderen wachsenden Einfluß der bösen USA entdeckt? Nein, nichts dergleichen. Es läßt sich sehr gut schildern im Vergleich der beiden Berichte aus der "Lithuanian Tribune" und der "Jungen Welt", beide aus demselben Anlass.
Beim tatsächlichen Geschehen war offenbar kein Fotograf dabei: zur Illustration herhalten
müssen daher ein "US-Soldat in Afghanistan" ("Junge Welt") und "Litauische Wehrpflichtige"
(Lithuanian Tribune / delfi.lt)
Die "Lithuanian Tribune" prägt für die Ereignisse einen eigenen Begriff: "cheesed off" seien die litauischen Soldaten worden. Wie bitte? Zitiert wird hier die Aussage von Asta Galdikaitė vom Verteidigungsministerium Litauens, die behauptet, US-Soldaten hätten litauisches Essen verweigert. Daher sei man auf die Idee gekommen, ihnen etwas anderes anzubieten: mehr Brötchen, Pizza, Cornflakes, Dosenfrüchte und eben auch ... Käse. Statt nationale eben "universale Küche", so bezeichnet es Galdikaitė. Vermutlich müssen dann also auch alle anderen NATO-Soldaten, egal aus welchem Land sie kommen das essen, was die US-Vorkoster so bestellt haben. Ebenfalls erstaunlich dabei: die NATOesen bekommen neben mehr Früchten auch mehr Fleisch (als die Litauer).
Nun können wir uns denken, dass eine Devise "esst weniger Fleisch" bei den Litauern nicht automatisch Freude und Wohlgefallen auslösen würde. Nun soll aber, dem litauischen Journalisten Ignas Krupavičius zufolge, ausgerechnet der Ausruf "Schau mal, da ist Käse!" bei den Litauern Verwunderung und Verwirrung ausgelöst haben - denn ihnen sei von den Armeechefs erklärt worden, dieser Käse "sei nur für die Amerikaner". Vielleicht war es ja ein echter "Džiuga", ein "Sviestas", oder ein "Varškės sūrelis" - wir wissen es nicht. Oder etwas davon, was durch die Russland-Sanktionen nicht mehr verkauft werden konnte? Vielleicht auch nur eine langweile Scheibe Irgendeinkäse als "Burger"-Belag. Resumee jedenfalls: litauische Soldaten essen bei NATO-Manövern in Litauen für 5,40 Euro am Tag, diejenigen aus anderen Ländern für 8 Euro. "Finanziert wird das von den Allierten", den Aussagen von Frau Galdikaitė zufolge. "Wer zahlt, schafft an" ist hier offenbar noch das Prinzip - der litauische Bericht endet nicht mit einer Beschwerde.

Nun die "Junge Welt". Freudig berichtet wird hier -  aus demselben Anlass - von "Klassengegensätzen"; wie wunderbar! Freunde des Sozialismus, hier weiss man doch gleich wo man dran ist. Gleich im zweiten Satz darf dann auch behauptet werden, die NATO würde in Litauen das "Russenschießen" üben, und die Faktenquelle, Ignas Krupavicius, anderswo als "Journalist" bezeichnet, wird hier eher anhand seiner Facebook-Seite eingeordnet (wo er sich selbst als Freiwilligen der litauischen Armee bezeichnet). Jeder bastelt es sich so zurecht, wie es die Leser (vermutlich) lesen wollen, oder? Schon der Gewohnheit wegen. Es finden sich aber auch hier recht witzige und erstaunliche Aussagen. "Mit den »litauischen Nationalgerichten« – zum Beispiel in ausgelassenen Speckwürfeln gebratene Kartoffelpuffer – könne man sie nicht kampfbereit und kriegsgelaunt halten," dieser Satz wird ohne konkrete Quellenangabe abgedruckt - und schon wieder können die NATO-Soldaten, so ganz nebenbei, als "kriegsgelaunt" bezeichnet werden. Zu was man doch einen einzelnen Kantinenbesuch alles ausschlachten kann, erstaunlich! Abschließend wird Krupavicius, der das ganze Thema ja offenbar erst aufgebracht hatte, noch als "Muschkote" bezeichnet - eigentlich so etwas wie "einfacher Fußsoldat", ein Begriff, der eher abwertend gemeint ist und, Internetquellen zufolge, angeblich aus dem niedersächsischen Raum stammt. Oder sollen wir lieber bei "Lieder aus der DDR" (der gute Berthold Brecht, im Sinne der FDJ eingespannt) nachsehen? Dort heißt es: "Und es waren mächtge Zaren einst im weiten Russenreich. Und man sah sie niedertreten die Muschkoten und Proleten. Und sie speisten, in Pasteten, alle Hähne, die drum krähten. Und die Guten sah man bluten, und den Zaren war es gleich." Möööönsch, so schlaue Schreiberlinge habe die bei der "Jungen Welt"? Jede Vokabel ein kleiner Wink auf gewesene und noch ausstehende Revolutionen.

Bleibt zu hoffen, dass die Chefredakteure beiden Zeitungsredaktionen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch genug Käse kaufen - für die Kantine. Sonst schreibt noch jemand darüber.Immer friedlich bleiben, bitte!

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