27 November 2018

Unbekannte und unbenannte Gipfel

Litauer sind in den Bergen Kirgisiens offenbar keine Seltenheit. Einige Siebentausender locken, das ganze Land besteht zu 80% aus Bergen. "Kirgisien ist das Nirvana für Bergsteiger!" so schwärmen Reiseexperten wie Michael Voss.
Es ist allerdings nicht immer leicht: zuletzt starb 2005 eine litauische Bergsteigerin in den Tian Shan Bergen der Kirgisischen Republik (delfi)

Chingiz Aidarbekov, Aussenminister der Republik Kirgisien, sicherte kürzlich bei einen Treffen mit seinem litauischen Amtskollegen Linkevičius zu, die Namensgebung für einige Berge zu beschleunigen - zwischen 1959 und 2018 hätten Bergsteiger/innen aus Litauen insgesamt sechs Berge in Kirgisistan bestiegen, die bis dahin ohne Namen waren. Mit kirgisischen Bergen, benannt nach Litauerinnen und Litauern, sieht die litauische Seite auch für den Tourismus nach Kirgisien zusätzliche Möglichkeiten.
Teaser zu "Leaving the comfort zone"

Wie den amtlichen Quellen zu entnehmen war, sollen die Berge nach Gediminas Akstinas, einem litauischen Bergsteigerpionier, Algimantas Vidugiris, einem Filmregisseur, und nach Martynas Mažvydas, dem Autor des ersten in litauischer Sprache gedruckten Buch benannt werden. Weitere Namensvorschläge sind Žalgiris, Nemunas, und "Millennium of Lithuania".

Auch das Filmprojekt der Regisseurin Miglė Satkauskaitė "Leaving the comfort zone" thematisiert die Erlebnisse litauischer Bergsteiger in Kirgisistan. Der Film, der bald in die litauischen Kinos kommen soll, nimmt mit Algimantas Jucevičius einen der bekanntesten litauischen Bergsteiger in den Fokus. "Algimantas kennt den Tian Shan und die Berge des Pamir besser als seinen eigenen Hinterhof - selbst wenn er in einem Land geboren ist dessen höchster Berg weniger als 300Meter hoch ist," sagt Filmemacherin Satkauskaite über ihn. "Auch wegen Algimantas reisen hunderte Litauerinnen und Litauer jedes Jahr hinauf zu Gipfeln, die sogar nach Litauern benannt sind, und verlieben sich in die Berglandschaft", sagt Saulius Damulevičius, Präsident des litauischen Bergsteigerverbands.

20 November 2018

Auf ins Superwahljahr!

Das Jahr 2019 wird für Litauen ein "Superwahljahr" werden: zunächst die Kommunalwahlen am 3. März 2019. Dann folgen die Präsidentschaftswahlen am 12. Mai 2019, denn die zweite Amtszeit der gegenwärtigen Präsidentin Dalia Grybauskaite endet. Und schließlich folgen kurz darauf auch in Litauen am 26. Mai die Wahlen zum Europaparlament (seimas).

Eigentlich ist es also sogar ein "Superhalbjahr". Die Kommunalwahlen werden nach einer neuen vom Parlament beschlossenen Regelung durchgeführt, der zufolge ein Termin für Kommunalwahlen nicht später als fünf Monate vor Ende der alten Legislaturperiode festgesetzt werden muss.

Auch für die Präsidentschaftswahl gibt es genaue Regelungen. Die Wahl muss am letzten Sonntag des vorletzten Monats der laufenden Amtszeit abgehalten werden - die läuft im Fall von Dalia Grybauskaite bis zum 12. Juli 2019. Falls es bei den Präsidentschaftswahlen eine Stichwahl geben wird, dann findet die Entscheidungsrunde wahrscheinlich auch am Tag der Europawahl statt.

Die meisten Diskussionen gibt es momentan noch darum, wer zur Präsidentschaftswahl antreten wird. Potentielle Kandidaten und Kandidatinnen sind:

Valdemar Tomaševski könnte einer der Kandidaten sein; Vorsitzender der Parteiallianz der Polen Litauens (Lietuvos lenkų rinkimų akcija) / Christlichen Familien in Litauen (LLRA-KŠS). Er ist gegenwärtig  Mitglied im Europaparlament und kandidierte auch schon 2009 und 2014 - mit einem Ergebnis von 4,7% und dann 8,4%. Tomaševski fiel zuletzt im Europaparlament durch die ausdrückliche Unterstützung von Ungarns Viktor Orban auf, möchte gern die Krim als Teil Russlands anerkennen und unterstützt die selbsternannten Putin-Freunde im ukrainischen Donbass (Donezregion) . Sein Parteienbündnis lag zuletzt aber bei nicht mehr als 6% Unterstützung durch Wählerinnen und Wähler - unwahrscheinlich also, dass er als Präsidentschaftskandidat sehr viel mehr holen würde.

Arvydas Juozaitis, einerseits im Besitz eines Doktortitel der Philosophie, andererseits einer Bronzemedaille im Brustschwimmen bei den Olymischen Spielen 1986 in Monreal. Auch ein Studium der Wirtschaft an der Universität Vilnius kann Juozaitis vorweisen. Der 62-jährige gilt als Mitgründer der "Sąjūdis", galt dort aber nicht gerade als Freund von Vytautas Landsbergis (siehe auch: DER SPIEGEL). Zwischen 2004 und 2009 arbeitete er als Kulturattaché für die russische Region Kaliningrad, und 2012-2017 als Vizepräsident des litauischen Olympischen Komitees.Er lebte teilweise auch in Lettland. Politisch hat er sich offenbar als Kritiker der Aufnahme von Flüchtlingen profiliert - " Je mehr Toleranz, desto weniger Litauen", mit diesen Worten zitiert ihn Tomas Venclova.

Naglis Puteikis kommt beruflich aus dem Bereich Archäologie, Denkmalpflege und Kulturerbe - einer der wenigen Nicht-Ökonomen unter den Kandidat/innen. Puteikis war auch schon stellvertretender Kulturminister, Parlamentsmitglied und Stadtrat in Klaipeda. 1996 wurde er Mitglied der "Vaterlandsunion" ("Tėvynės sąjunga"), verließ die Partei 2014 und erreichte schon damals bei den Präsidentschaftswahlen 9,37% der Stimmen (Platz 4). 2016 trat Puteikis der litauischen Zentrumspartei ("Lietuvos Centro Partija") bei. Zusammen mit Kristupas Krivickas bildete Puteikis 2016 die sogenannte "Anti-Korruptions-Koalition" (delfi), erreichte aber keine 7%, die für solche Parteienkoalitionen für einen Sitz nötig gewesen wären.

Aušra Maldeikienė kommt aus Palanga und studierte schon zu Sowjetzeiten Finanz- und Kreditwesen in Vilnius und in Moskau. Dann war sie Dozentin an verschiedenen akademischen Einrichtungen, in den 1990igern auch Kolumnistin bei der Zeitung "Lietuvos Rytas". Nach einer Tätigkeit als Pressesprecherin einer Bank und beim Baltic News Service wurde sie Dozentin an der früheren Hochschule für Betriebswirtschaft, heute Vilnius University Business School. Sie schrieb auch Handbücher der Ökonomie für Schulen und übersetzte Fachbücher ins Litauische. Zunächst Mitglied der Liberaldemokratischen Partei (die inzwischen "Ordnung und Gerechtigkeit" / "Tvarka ir teisingumas" heißt) war Aušra Maldeikienė 2009 Kandidatin für die "Partei Bürgerdemokratie" ("Pilietinės demokratijos partija"), einer Abspaltung der "Arbeitspartei" ("Darbo Partija"). Inzwischen arbeitet sie mit der "Litauischen Liste" zusammen, ohne dort Mitglied zu sein. 2016 wurde Maldeikienė die erste Repräsentantin dieser Partei im litauischen Parlament.

Valentinas Mazuronis, arbeitete bis 2004 als Architekt in seinem eigenen Büro. Lange war er Mitglied im Stadtrat von Šiauliai, Mitglied der Litauischen Liberalen Union. Als sich diese spaltete, machte er bei der Partei "Ordnung und Gerechtigkeit" ("Tvarka ir teisingumas") weiter, deren bekanntester Kopf Ex-Präsident Paksas ist. 2012 zum dritten Mal ins Litauische Parlament gewählt, wurde er Umweltminister, trat aber von diesem Amt 2014 zurück nachdem er ins Europaparlament gewählt worden war. 2015 wechselte Mazuronis zur litauischen Arbeitspartei (Darbo Partija), deren bekannteste Figur Viktoras Uspaskich in der litauischen Politik ebenfalls einen sehr umstrittenen Ruf hat. 2015 wurde Mazuronis Parteivorsitzender, trat aber nach schlechten Ergebnissen bei der Parlamentswahlen 2016 von diesem Amt zurück.

Manche der Kandidat/innen haben
ihre Wahlkampagne bereits gestartet
Petras Austrevičius, unterstützt von der liberalen Bewegung, ist auch einer derjenigen, der bereits in den 1980iger Jahren Ökonomie an der Universität Vilnius studierte. Er half verschiedene Botschaften Litauens mit aufzubauen, unter anderem diejenige in Helsinki, wo er dann 1994 auch Botschafter wurde. 1998 war er Koordinator für die Beitrittsverhandlungen mit der EU. 2004 wurde er ins Parlament gewählt, zunächst für die "Liberale Zentrumsunion" ("Liberalų ir centro sąjunga"), dann für die "Liberale Bewegung" ("Lietuvos Respublikos liberalų sąjūdis"). Seit 2014 ist Austrevičius Mitglied im Europaparlament und ist dort u.a. bei der informellen Gruppe "Freunde der Europäischen Ukraine" aktiv. Er tritt für eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland ein und steht auf einer Liste von 89 Personen aus der Europäischen Union, denen die Einreise nach Russland gegenwärtig untersagt ist.

Ingrida Šimonytė musste sich zunächst internen "Primaries"
stellen, um als Kandidatin der Vaterlandsunion /
Christdemokraten benannt zu werden
Ingrida Šimonytė, parteilos, Litauens Ex-Finanzministerin ausgerechnet zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise (2009-2012). Sie möchte gern die weibliche Tradition im litauischen Präsidentinnenamt fortsetzen (manche nennen sie "Grybauskaite 2.0"). Sie steht für eine strikt konservative Finanzpolitik, gibt sich sozial- und gesellschaftspolitisch aber liberal. 1997 kam sie ins litauische Finanzministerium und leitete die Abteilung für Steuern. 2013 ernannte sie Präsidentin Grybauskaite zur stellvertretenden Vorsitzenden der Litauischen Nationalbank. Ihre Kandidatur wird unterstützt von den Christdemokraten und der Vaterlandsunion - nachdem eine Mitgliederbefragung zu ihren Gunsten ausgegangen war.

Gitanas Nausėda, ehemaliger Chef-Ökonom der "SEB Bank Litauen", gilt in Litauen als einer der "Väter des Euro". studierte er an der Universität Mannheim und sammelte später weitere Erfahrungen beim Deutschen Bundestag, bei der Weltbank, der Litauischen Zentralbank und der SEB-Bank. Er war auch Dozent am Lehrstuhl für Finanzen der Universität Vilnius, später auch an der "Vilnius University Business School". Deutschen Kulturinteressierten ist Nauseda auch durch seine Mitherausgeberschaft beim Buch "Chronik der Schule zu Nidden" als Bücherfreund bekannt. Mitte September 2018 kündigte Nauseda seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen an.

Bis zum 21. Februar 2019 ist noch Zeit für potentielle Kandidaten oder Kandidatinnen eine Kandidatur zu erklären. Unklar ist noch, ob auch der gegenwärtige litauische Regierungschef Saulius Skvernelis kandidieren wird. Auch eine Kandidatur von Visvaldas Matijošaitis, Bürgermeister von Kaunas, wird noch für möglich gehalten. Gegenwärtig sind die Kräfteverhältnisse noch unklar - zwar führen Nauseda und Šimonyte in den Umfragen - aber beide sprechen auch einen ähnlichen Wählerkreis an, beide stehen für ähnliche Themen. Da ein neuer Präsident oder Präsidentin von allen Litauerinnen und Litauern gewählt werden wird, bleiben einstweilen noch viele Fragen offen.

14 November 2018

Zwischen Litauen und Litauen

Als Denkmal für Klein-Litauen und dessen Bewohner wollen die Autor/innen und Herausgeber/innen ein neues Buch verstanden wissen, das am 7. November in den Räumen der Botschaft Litauens in Berlin vorgestellt wurde. Denn die Legenden über die alten litauischen Fürsten wie Mindaugas, Gedeminas oder Algirdas sind das eine - das Gebiet des damaligen Großfürstentums Litauen erstreckte sich vor allem nach Osten, in Regionen des heutigen Weißrussland, Polens und der Ukraine. Dafür war zunächst die Burg Trakai ein Symbol, 1323 wurde Vilnius gegründet.

Dr. Vaclovas Bagdonavičius mit Silke Brohm
(Übersetzerin) bei der Vorstellung des Buches in Berlin
Das erste gedruckte litauische Buch, dazu eine Bibelübersetzung ins Litauische, und auch die erste Grammatik der litauischen Sprache - das alles entstand in dem Gebiet von der Memel im Norden, Goldapp im Süden, und von Labiau im Westen bis zur litauischen Grenze im Osten.

Das jetzt frisch erschienene Werk hat den Titel "Preußisch-Litauen: Ein enzyklopädisches Handbuch / Mažosios Lietuvos enciklopedinis žinynas". Geschrieben haben dieses Buch über 300 Autorinnen und Autoren - die heute über die ganze Welt verstreut leben, von Kanada über Norwegen, Deutschland, den USA, Russland bis nach Australien. Die Idee entstand bereits 1983, 1985 wurde die "Stiftung Klein-Litauen" gegründet. Zwischen 2000 und 2009 konnten das fertige Werk in seiner litauischen Fassung (in vier Bänden) erscheinen. Für diese Ausgabe zeichnete der Philosoph und Literaturwissenschaftler Vaclovas Bagdonavičius verantwortlich.

Dr. Christiane Schiller
Die Projektleitung zur Erstellung einer deutschen Ausgabe dieses Werkes hatte Frau Dr. Christiane Schiller, Lituanistin und Baltistin. Es waren viele Aufgaben zu vergeben: die große Themenvielfalt bedingt es, dass sich Übersetzerinnen und Übersetzer sehr anstrengen mussten, um sorgfältig überprüfte Lösungen anbieten zu können. Da kam sicher zu gute, dass Frau Dr. Schiller auch Litauisch lehrt, also einen Teil der Schülerinnen und Schüler ansprechen konnte.

Also ein "Denkmal für die Westbalten"? Oder eher "Ostpreußen aus der Sicht der Litauer"?
"Nicht einmal die reichen Deutschen, die so viele verschiedene Enzyklopädien herausgaben, haben bisher ein Nachschlagewerk zu dem über Jahrhunderte von ihnen beherrschten und bewohnten Altpreußen und Ostpreußen erstellt, wenn sie auch Tausende von Arbeiten darüber schrieben," schrieb der litauische Historiker Algirdas Matulevičius schon 2001 für die "Annaberger Annalen". Aus litauischer Sicht war es also ein tiefes Bedürfnis, die Definition zu Geschichte, Kultur und Gegenwart der im Fokus stehenden Region nicht nur der deutschen Seite zu überlassen.
Prof. Dr. Manfred Klein
Mit dem vorliegenden Buch - dessen genaues Studium angesichts der Informationsfülle sicher längere Zeit dauern wird - haben nun auch deutsche Leserinnen und Leser ein Werkzeug, um eigene Schablonen und Sichtweisen mal auf die Probe zu stellen.

Auch der Historiker Dr. Manfred Klein, schon durch sein Buch "Das alte Litauen - dörfliches Leben zwischen 1861 und 1914" (siehe Annaberger Annalen) bekannt, beteiligte sich an der anschließenden Diskussion. Auch er hatte sich erst kürzlich mit einem eigenen Buch zu "Preussens Litauern" zu Wort gemeldet, wo Sätze zu lesen sind wie dieser: "Man kann Studien über Minderheiten in Deutschland oder der preußischen Gesellschaft lesen, in denen Ostpreußens Litauer nicht einmal erwähnt werden” - das dies sich ändert, auch dazu ist das neue Nachschlagewerk sicher nützlich. Alle Anwesenden waren sich einig: alle Beteiligten an der deutschen Ausgabe dieser neuen Enzyklopädie gebührt großen Dank, denn ohne ihr Engagement und ihre Leidenschaft wäre die Arbeit und der Zeitaufwand an diesem Projekt kaum realisierbar gewesen.

Preußisch-Litauen: Ein enzyklopädisches Handbuch / Mažosios Lietuvos enciklopedinis žinynas

05 Oktober 2018

Mentalität der Schnittstellen


"Wir davon profitiert, aus Ländern zu kommen, die eine kulturelle Schnittstelle sind", meint Modestas Pitrenas, Chefdirigent des Sinfonieorchesters St. Gallen in der Schweiz. Journalist Martin Preisser, Journalist beim Schweizer "Tagblatts", begibt sich in einem Interview mit Pitrenas auf die Suche der Mentalität der Litauer. "Stärkere Leidenschaft" vermuteter.

Pitrenas sagt zur Musik Litauens: "Die Melancholie ist natürlich ein Thema. Und die Musik der baltischen Länder spiegelt diese wider, genau wie auch die Musik des Finnen Sibelius oder des Russen Tschaikowsky. In Litauen sagen wir: «Bei uns ist der Himmel sehr nah». Es gibt viele Wolken, nur wenig Sonne. Unsere Lieder sind in Moll gehalten. Und dennoch sagen wir: «Wir sind am Leben.» Letzteres ist durchaus als trotzige Entgegnung angesichts der hohen Selbstmordstatistik Litauens gedacht.

Selbsteinschätzungen von Litauerinnen und Litauern sind sonst ziemlich schwer zu finden, 100 Jahre nach der Wiedererrichtung eines unabhängigen Litauen.

Deutsche Gäste, Studierende oder dort Arbeitende geben meist eher schlichte Tipps weiter, auf Sehenswürdigkeiten oder Essen und Trinken bezogen. "In Litauen gibts gutes Essen" meint Janett auf "Teilzeitreisender.de", und hebt Juoda ruginė duona (litauisches Schwarzbrot), Baumkuchen und litauische Biersorten besonders positiv hervor. Natürlich auch Zepelinas und Rote-Beete-Suppe. Persönliche Einschätzungen zu Menschen und Mentalität finden sich sehr viel seltener. Ob es an den Werbepartnern liegt, von denen die eifrigen Autorinnen und Autoren belohnt zu werden hoffen?

Sehr viel aufschlußreicher sind die schon die Erfahrungsberichte von (Erasmus)Studierenden. "Von deutscher Ordnung keine Spur - außer bei der Bürokratie" traut sich Maike zu resümieren. Pluspunkte gibts aber für das litauische Nachtleben in Vilnius und Kaunas, und dann die Nützlichkeitserwägung: "wer will, kann in Litauen von allem ein bisschen haben, und das auch noch zu guten Preisen!"

Einen "Kulturschock im Studium" glaubt Anna Kokott auf "Krosse" diagnostizieren zu können. Gleichzeitig meint sie "überall" noch einen "Hauch von Sowjetunion" verspüren zu können - und wieder mal jemand, der sich mit dem Litauisch lernen nicht anfreunden kann. Kein Wunder also, dass in der allgemeinen Sprachlosigkeit dann auch "schlechtes Wetter und schlechte Laune" diagnostiziert werden. Der Höhepunkt hier: im Krankenhaus mit einer verstauchten Hand ignoriert werden, weil man kein Litauisch spricht. Den Hintergrund, "nach Litauen gezogen zu sein", beschreibt Frau Kokott leider nicht (zumindest nicht im selben Beitrag). Denn in Litauen wohnen ohne Litauisch lernen zu wollen - was das auslöst, ist ihr leider nicht bewußt.

Bedingungslose Freundlichkeit, Höflichkeit auch gegenüber Fremden, und gleichzeitig günstiges Preisniveau (was ja für Litauerinnen und Litauer ganz anders aussieht) - ist es nur das, was Deutsche von Litauen erwarten? Offenbar gar nicht so einfach, eine "Schnittstelle" zu sein. Übergang von einem zum anderen, möglichst reibungslos - wenn es eine Serviceleistung wäre. Es wäre doch schön, wenn auch die Deutschen verstehen würden: erst wenn Litauen ein Land geworden ist, wo Litauerinnen und Litauer selbst einigermaßen sorgenfrei, mit ausreichendem Einkommen und der ganzen Familie selbst leben können, werden Vergleiche mit Deutschen auch gerechter ausfallen.

13 August 2018

Alle Wege führen zum G

Europäische Knautschzone:
immer schön die Landkarte im Blick
Vilnius liegt nicht am Meer - sonst würden vielleicht, wie in Tallinn, im Sommer zehntausende Kreuzfahrttouristen die Altstadt überschwemmen. "Nur 50 von 1000 Deutschen wissen, was Vilnius ist und wo es liegt!" weiß Inga Romanovskienė, Leiterin des Stadtmarketings der litauischen Hauptstadt, zu berichten. Daher läuft momentan neben London auch in Berlin eine Kampagne um Vilnius bekannter zu machen. Der Slogan, der hier voran steht, erzeugte schon vorab zumindest großes Aufsehen: "Vilnius, the G-spot of Europe!"

Nun, vielleicht gibt es ja Menschen, die mit diesem "G" nicht viel anfangen können - vielleicht 50 von 1000. Die anderen haben vermutlich wegen der großen Aufregung von dieser Kampagne erfahren, die darum inzwischen medial gemacht wurde. Aus Litauen war vor allem der Hinweis auf den kurz bevorstehenden Papstbesuch zu vernehmen - denn dem amtierenden Argentinier ist wohl zuzutrauen dass er überall nachfragt. Hauptstadt mit G? Vilnius?
Werbeslogan "Atomic Garden School"

"Vilnius, der G-Punkt Europas!" Dazu der Zusatz: "Niemand weiß wo er ist, aber wenn Du in findest, es ist fantastisch!" - perfekt illustriert ins Bild gesetzt. Solche Sprüche fanden manche mehr als nur zweideutig. "Nicht mal für einen Junggesellen-Abend tauglich" befand der Ex-Bürgermeister von Vilnius, Arturas Žuokas, der zu eigenen Amtszeiten viel lieber sich selbst als Vilnius-Werbefigur zu inszenieren versuchte.  Andere Litauer dachten vielleicht auch an die Schlagzeilen, die Litauen-Werbung vor zwei Jahren machte, als sich herausstellte dass mit Fotos geworben wurde die gar nicht in Litauen aufgenommen worden waren.

Oder war es eher kalkulierte Aufregung? Eine "Schlüpfrige Werbekampagne" meinte der "Kurier" zu erkennen, und die litauische katholische Kirche befürchtet sogar eine Werbung für Sextourismus. Die Kollegen der Werbeindustrie geraten da mehrheitlich eher ins Schmunzeln. Auch der litauische Regierungschef Saulius Skvernelis meldete sich zu Wort, meinte aber, trotz vorhandenen Merkwürdigkeiten überschreite die Stadtwerbung aber keine moralischen Grenzen.

Eher stolz auf die große Aufmerksamkeit sind Jurgis Ramanauskas, 25, und Skaistė Kaurynaitė, 27 Jahre alt - Studierende der Atomic Garden School in Vilnius.Die Kampagne solle sich an 18- bis 35-jährige junge Leute richten, meinen sie. Auffällig ist dabei, dass der neue Slogan bereits seit einigen Monaten in Medien und Internet diskutiert wird. Vielleicht musste also der Papst absichtlich herhalten? "Es ist uns eine Freude, wenn Arbeiten unserer Studierenden so viele Aufmerksamkeit bekommen", sagt Kęstutis Kuskys, Projektleiter an der "Atomic Garden School". Kuskys zufolge verdiene die Schule nichts an der studentischen Idee, auch wenn das Stadtmarketing Vilnius nun sogar Poster im Ausland damit produziere.

Was kann einer Werbekampagne besseres passieren, als bereits vor dem Start in aller Munde zu sein? (stern, MDR, The Sun, DW, Travelnews, Arileht, The Telegraph, Insider, NYTimes). Vor wenigen Tagen startete dann eine Plakatkampagne in Berlin und London. Aber auch virtuell, also im Internet, werden Interessierte weiter betreut. "Mit Zunge, oder ohne?" Was bei "VilniusGspot" auf den ersten Blick wie eine Verschärfung erotischer Anspielungen wirkt, entpuppt sich dann aber als harmlose Variante eines interaktiven Fragebogens. Es entsteht eine "pleasure map" mit Hinweisen zum guten Geschmack, dem aufregendsten Nachtleben, sehenswerten Aussichtspanoramen und aussergewöhnlichen Einkaufsmöglichkeiten. Weitgehend nur auf Englisch übrigens. 

Da ist es doch schade, dass die diesjährige sommerliche Reisesaison schon fast vorüber  ist. Vermutlich wird auch der Papst seine für September vorgesehenen Besuchspläne in Litauen nicht stornieren. Und die G-Spot-Filmchen, die inzwischen ebenfalls im Umlauf sind, bemühen sich die Assoziation zum "lustvolle Stöhnen" etwas abzubremsen - als erholsames Ausatmen. Auch das haben sich bereits jetzt zehntausende angesehen. Na dann: fröhliches Atmen zusammen!

13 Juni 2018

Zwischen Altlasten und Schlußstrich

Es gibt ein Thema, über das litauische Regierungsstellen offenbar nicht gerne reden: die früher der CIA zur Nutzung in Litauen eingeräumten "Geheimgefängnisse" (Black sites). Geheim deshalb, weil dort offenbar Dinge geschahen, von denen die Beteiligten gerne den Eindruck erwecken, es gäbe sie gar nicht - vor allem Folter. Es wäre also wohl falsch zu erwarten, Informationen hierzu im sogenannten "CIA World Factbook" finden zu können.

Als 2009 Einzelheiten zu CIA-Gefängnissen in Litauen veröffentlicht wurden (z.B. "Washington Post" / "Spiegel online") wirkte alles gleich sehr konkret: nicht nur was die Orten und Gebäude anging (Reithof Antaviliai), wo entsprechendes geschah, sondern auch was die Foltertechniken anging, die dort praktiziert wurden. Die Kritik richtet sich dabei gegen Litauen als Unterzeichnerstaat der UN-Anti-Folter-Konvention, die seit 1986 in Kraft ist (siehe auch: Die Presse). Allerdings zeigen zum Beispiel die jährlichen Berichte von "Amnesty International", dass Folter trotz des völkerrechtlich zwingenden Folterverbots weiterhin in vielen Ländern alltäglich ist (siehe auch: DW).

Als Gründe der litauischen Dienstbarkeit gegenüber US-Behörden wurden bald der litauische Wunsch nach besseren Beziehungen zu den USA vermutet - so habe es "ein ehemaliger CIA-Agent" erzählt. Den Grad des Geheimnisvollen bestärkten auch litauische Offizielle, denn die Regierung Litauens bestritt damals alle Gerüchte und Interpretationen über angebliche Geheimgefängnisse, die es auf litauischem Boden gegeben haben soll und möglicherweise (von der CIA) benutzt wurden (Die Welt). Als stärkstes Indiz galten damals Flugbewegungen von Maschinen der "Richmor Aviation", die dafür bekannt sein sollen öfter im Auftrag der CIA zu fliegen.

Eine der seltenen Stellungnahmen von litauischer Seite zu diesem Thema im Dezember 2009 von der frisch ins Amt gewählten Präsidentin Dalia Gribauskaite. "Litauen wird als Staat nur dann respektiert werden, wenn wir nicht Menschenrechte geringschätzen, oder Kompromisse in unserer nationalen Sicherheit machen - das eine darf das andere nicht beeinträchtigen." - In derselben Erklärung steht aber auch: "Das Komitee für nationale Sicherheit und Verteidigung des litauischen Parlaments hat Anfragen der CIA festgestellt, Einrichtungen für Gefangene einrichten zu dürfen, und das diese Einrichtungen auch entsprechend ausgerüstet wurden; es weist jedoch nichts darauf hin dass hier auch tatsächlich Gefangene gehalten wurden."

Also: Gefängnisse ja, Gefangene nein. Es stellte sich allerdings bald heraus, dass es in Litauen mehrere solche Orte potentieller CIA-Gefängnisse gab - und einer davon durchaus auch genutzt wurde. Quelle für diese Info: Domas Grigaliunas, ein ehemaliger litauischer Geheimdienstmitarbeiter. Litauen selbst startete zunächst auch eine Untersuchung in dieser Sache, stellte diese aber nach nur einem Jahr wieder ein.
Eine neue Entwicklung ergab sich 2013, als Litauen wegen der EU-Präsidentschaft im Fokus der internationalen Öffentlichkeit stand. Das "Human Right Watch Institute" in Vilnius forderte die litauische Regierung auf, die Untersuchungen zu den potentiellen CIA-Gefängnissen wieder aufzunehmen.

Im Jahresbericht für 2013 sagt "Amnesty International" für Litauen: "Die Behörden nahmen die Untersuchung zur Beteiligung Litauens an den CIA-Programmen für außerordentliche Überstellungen und Geheimgefängnisse nicht wieder auf, obwohl es neue Ermittlungsansätze gab und NGOs neue Daten über außerordentliche Überstellungsflüge nach Litauen vorgelegt hatten. Die Behörden versäumten es auch, strafrechtliche Schritte gegen Personen einzuleiten, die für möglicherweise auf litauischem Hoheitsgebiet verübte Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Verschwindenlassen verantwortlich waren.
Im April 2012 besuchten Delegierte des Europäischen Parlaments das Land und kamen zu dem Schluss, dass Litauen keine unabhängige, unparteiische, gründliche und wirksame Untersuchung seiner Beteiligung an den CIA-Programmen durchgeführt hatte. In einem im September vom Europäischen Parlament angenommenen Bericht wurde Litauen aufgefordert, eine Untersuchung zu seiner Mitverantwortung für diese Programme durchzuführen, die mit den international geltenden Menschenrechtsstandards in Einklang steht."

Schon 2010 gab es offenbar einen UN-Bericht über die Existenz von Geheimgefängnissen weltweit - über dessen Veröffentlichung lange gestritten wurde (Tagesspiegel). Allerdings war hier nicht nur vom CIA war darin die Rede, sondern auch von Ländern wie China, Russland, Syrien, Pakistan, Saudi-Arabien, Indien und Usbekistan, wo ähnliches an der Tagesordnung sei.

2015 wurde mit Henrikas Mickevičius ein Litauer in die UN-Kommission "gegen gewaltsames Verschwindenlassen" (engl. = "Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances") berufen (liberties). Mickevičius ist Mitgründer, Anwalt und heutiger Berater des litauischen "Human Rights Monitoring Institute" (HRMI) in Vilnius.

Und dann kam Zayn Al-Abidin Muhammad Husayn, genannt Abu Zubaydah. Als einer von zwei Anklägern behauptete er, von der CIA nach Litauen gebracht und dort festgehalten und gefoltert worden zu sein (beide sind mittlerweile im umstrittenen US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba interniert). Das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vom 31.5.2018 fiel eindeutig aus: Die Behörden Litauens hätten von den Gefängnissen gewusst und mit dem US-Auslandsgeheimdienst kooperiert. Damit hätten sie drohende Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen. (DW / ARD / liberties) Die EGMR-Entscheidung fiel einstimmig aus, mit Egidijus Kūris war auch ein Litauer unter den Richtern.
Festgestellt werden konnte auch der genaue Zeitpunkt, wann der Ankläger in Litauen festgehalten wurde: vom 17. oder 18. Februar 2005 bis zum 25. März 2006. Das Gericht verurteilte Litauen zur Zahlung von 100.000 Euro an den Ankläger, zusätzlich 30.000 Euro zur Begleichung von entstandenen Kosten.(siehe auch: HRMI). Außerdem wird Litauen aufgefordert, die Vorwürfe schnellstmöglich aufzuklären und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

14 Mai 2018

Litauisch Oberhausen

Die diesjährigen 64.Kurzfilmtage Oberhausen haben mit der Vergabe des Großen Preises der Stadt Oberhausen einen Filmemacher aus Litauen geehrt: Deimantas Narkevičius.Ein Name, der in Deutschland wohl in Kunstkreisen und unter Kulturschaffenden - aber nicht so sehr in allgemeinen Öffentlichkeit bekannt ist.

Narkevičius, geboren 1964 in Utena, studierte zunächst Bildhauerei an der Kunstakademie Vilnius. 1992/93 verbrachte er ein Jahr in London. Nach seiner Rückkehr begann er Gespräche mit Künstler/innen aufzuzeichnen - das narrative Element hat er sich in seinen Filmen erhalten, wie etwa in "The role of Lifetime".
Heute gilt Narkevičius als einer der international bekanntesten und anerkanntesten Künstler Litauens. 2001 repräsentierte er sein Heimatland bei der Bienale von Venedig, und auch 2003 war er in Venedig präsent. Seine Ausstellungsprojekte erstrecken sich über die ganze Welt: über London, Paris oder Brüssel bis nach Melbourne.

In seinen Filmen versucht er stets ein Thema aus der Geschichte aufzugreifen. Hier scheut er auch nicht vor schwierigen Themen zurück, die in er litauischen Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, wie zum Beispiel die jüdische Vergangenheit und der Holocaust in Vilnius, oder die Schwierigkeiten von Homosexuellen im Alltag.

In einem Interview bezeichnete er Ferneh-Dokumentationen der 70iger Jahre als bevorzugtes Arbeitsmaterial: "Die Interviews wurden damals meist mit 16mm-Kameras gemacht, dann wurden sie geschnitten und noch am selben Abend verwendet - es geschah also oft in ziemlicher Hektik. So musste zu einem gewissen Maß auch experimentiert werden. Diese Filme wurden durchgesehen und gesendet, sie schufen interessante Möglichkeiten um Film zu nutzen. Ich habe darüber erst sehr viel später nachgedacht." 
aus: "Manifesta 10" (Sad songs of war)

Eine andere Aussage von Narkevičius ist, dass seine Filme auch als "Ausweitung seiner Skulpturen" angesehen werden können. "Für Manifesta2 habe ich auch Filmmaterial benutzt", sagt er. "Und der Prozess, eine Skulptur zu schaffen, ist bei mir auch ähnlich wie das Arbeiten mit Film." So wundert es auch nicht, dass sowohl die Riesenbüste von Karl Marx im heutigen Chemnitz (zu DDR-Zeiten=Karl-Marx-Stadt) bei Narkevičius Thema sind, wie auch die ehemals ganz Litauen dominierenden Lenin-Skulpturen (heute versammelt im "Grūto Parkas" zu sehen), oder der Abbau der letzten Sowjetmonumente von der "Grünen Brücke" in Vilnius. Dabei kann Narkevičius mit diesen Statuen ganz anders umgehen, wie er es als Bildhauer könnte: "gewöhnlich sind diese Figuren ja nicht dafür geschaffen worden, damit sie in dem Moment betrachtet werden wie sie aufgestellt oder wieder abgebaut werden."

Hat Narkevičius Vorbilder? Beeindrucked habe ihn die Persönlichkeit von Werner Herzog: "Ich war beeindruckt von seiner Persönlichkeit", erzählt er. Auch sein Film "Revisiting Solaris" ist einem Filmmacher und einem Visionär gewidmet: Adrejs Tarkowski und Stanisław Lem, dazu werden Landschaftsmotive von Mikalojus Konstantinas Čiurlionis genutzt.
Inzwischen, nach all seinen internationalen Erfolgen, wird Deimantas Narkevičius wohl selbst schon zum Vorbild für viele jüngere Künster/innen geworden sein.

Interview mit Deimantas Narkevičius   / Forum der Berlinale 2012

Deimantas Narkevicius - The Role of a Lifetime    / The arrow of time

Deimantas Narkevicius in Münster     / Head (Der Kopf)

Baltic Bites   / Kurzfilmtage Oberhausen  /  Lo Schermo Dell’Arte Film Festival (Interview)

Into the Unknown   /   Manifesta 10    / Ausgeträumt

16 April 2018

Diplomatie der Hundertjährigen

Endlich auch mal gemeinsam auf Tournee gehen - war das die Idee hinter der diplomatischen Frühlingsoffensive der drei baltischen Präsidentinnen und Präsidenten? Erst in Washington bei US-Trump, dann in Paris bei Macron, und kurz danach dann die lange erwartete Eröffnung der "London Book Fair" (mit Schwerpunkt auf den drei baltischen Staaten).

Der Ausflug zum US-Präsidenten wird unter einem zweispältigen Motto gestanden haben: die einen sehen hier die treuen US-Vasallen ihrem Herrn und Befehlshaber berichten, die anderen wollen eher ängstlichen Nachfragen erkennen, ob denn der wankelmütige und eher unberechenbare Chef im Weißen Haus es überhaupt noch wichtig findet, den Schutz der NATO für die baltischen Staaten zu bestätigen - die Litauerin Dalia Grybauskaite hatte von "unpredictable leadership" gesprochen (CNN) (siehe auch: Pressekonferenz1 / Pressekonferenz2 ).

Kulturelle Aktivitäten waren beim USA-Besuch offenbar nicht geplant - und der Wortlaut der Presseerklärungen lässt sich schnell zusammenfassen: wir, die Balten, sind froh dass die USA für unsere Sicherheit bürgt, als Gegenleistung sorgen wir für ein vorteilhaftes Klima für US-Investoren und gegen 2% unseres Bruttosozialproduktes für Rüstung aus. Einschließlich dem verdeckten Versprechen, in den USA die Waffen für die eigene Armee einzukaufen (so funktioniert doch "Amerika first"?). Immerhin ging Grybauskaite soweit, gleich mehrfach öffentlich die vermeintlichen Trump'schen Vorwürfe gegen andere NATO-Mitglieder zu wiederholen ("they have not paid their bills"), und speziell gegen Deutschland sogar noch nachzulegen: die Nord-Stream-Pipeline mache abhängig vom russischen Gas.

Zurück auf dem europäische Kontinent, kam wieder mehr "Kultur" auf, als beim "Auswärtsspiel" in Washington. "Wilde Seelen" heißt die Ausstellung im Musée d'Orsay in Paris - Malerei der Zeitperiode zwischen den 1890er Jahren und der Zeit von 1920 bis 1930. Oder auch: "Čiurlionis und mehr!" So gelingt es zumindest für die Ausstellungsbesucher den Zugang zu öffnen für die Sichtweisen vor 100 Jahren. "Unsere Etnografie, unsere Wurzeln, unser Kulturerbe" - so beschreiben die Ausstellungsmacher das, was sie zeigen wollen.

Dalia Grybauskaite nennt die Beziehungen zu Frankreich "strategische Partnerschaft" (Presseerklärung); und sie kommt auch schnell wieder auf Zahlen und Finanzen: schließlich habe Frankreich 22 Tonnen Gold aus litauischen Besitz während der Okkuptationszeit aufbewahrt und danach an Litauen zurückgegeben. Und das Bild "Rex" von Čiurlionis sei schließlich mit 1 Millon Euro Versicherungssumme das teuerste der gesamten Ausstellung - so als ob rein kulturelle Aktivitäten in Litauen keine Währung mehr seien, und alles in Zahlen statistische Erfolge umgerechnet werden muss. 

Und schließlich die "London Book Fair" - mit Länderschwerpunkt Estland, Lettland und Litauen. Die Ankündigungen dazu klangen teilweise sehr kreativ: "die Bücherschmuggler kommen!" (Bookseller). - Hier konnte Litauen sicher Erfahrungen der Buchmesse Leipzig 2017 nutzen (mit Schwerpunkt Litauen). Gleichzeitig wurde bekannt, dass Buchverleger aus den baltischen Staaten mehrere Preise gewannen: darunter war auch "Alma Littera" aus Litauen, denen der  "Market Focus Baltics Young Adult Publisher Award" zugesprochen wurde. "Die Stärke des Kinderbuchmarkts in den baltischen Staaten hat die Jury beeindruckt" (Börsenblatt).

Es ist anzunehmen, dass der Auftritt der litauischen
Buchverleger/innen und Schriftsteller/innen weniger
Ängste hervorgerufen hat, als es hier ein lettischer
Karikaturist befürchtet ...
Für manche Medien und Berichterstatter scheinen auch die litauischen Namen schlichtweg zu lang und zu kompliziert zu sein - so wird bei "Gulf News" von der Buchmesse und einer "Cristina Sabalia" berichtet. Die litauische Presse berichtet von der Londoner Buchmesse auch als "Nischensuche auf dem englischsprachigen Markt": 200 Bücher seien präsentiert worden, darunter 19 Neuübersetzungen ins Englische, unter der Beteiligung von 26 litauischen Verleger/innen.

Für den Rest des Jahres ist anzunehmen, dass die drei Hundertjährigen (ok, Litauen war 1918 bereits "wiedergeboren") ganz auf den Tourismus setzen werden. Sogar der Papst hat ja für September sein Kommen bereits angekündigt. 

12 April 2018

Der Baltenbeste

"Baltische" (litauisch-lettische) Projekte, auch
von der EU gefördert (INTERREG)
Was sind eigentlich "Balten"? Vielleicht die Bewohner des "Baltikums"? Tatsächlich steht es so im "Duden" (online). Aber viele haben sich diese Fragen schon gestellt, und ebenso viele wurden schon mit vereinfachenden Antwortschablonen abgespeist. Manche führen die Bezeichnung auf die "baltischen" Stämme zurück, so wie sie vor einigen Jahrhunderten existierten - also Selonen, Schamaiten, Galinder oder Jadwinger. Andererseits begannen auch die Deutschen, die im bis zum 1.Weltkrieg existierenden, alten "Livland" wohnten, sich als "Balten" zu bezeichnen - "Baltendeutsche" eben (ein vor allem in der Nazizeit üblicher Begriff), oder "Deutschbalten" (wie es heute üblich ist).
Für wieder andere ist "Twangste" der Schlüsselbegriff, eine (alt-)prussische Burg, die ungefähr dort gestanden haben soll wo später die Deutschen ihr Königsberg erbauten - als geschichtlicher Beweis, dass nicht erst die Deutschen diese Gegend als erste besiedelten und "kultivierten", wie sie es oft meinten.
Sogar vom lettisch/litauischen Wort für "weiß" (= "balts", litauisch = "baltas") leiten manche den Begriff "Baltikum" ab - das "weiße Meer" ("Baltijas Jūra" / "Baltijos Jūra"). Oder doch das "Baltikum-Meer"? (Die Esten sind da eindeutiger: Ostsee = Läänemeri / "Westsee")

"Balten" also. Schwierig wird es vielleicht, wenn sich aus Estland stammende Deutsche als "Balten" bezeichnen, ihre (ehemaligen) Nachbarn, die Estinnen und Esten, aber ausdrücklich nicht. Schließlich sprechen Esten eine finno-ugrische, keine indoeuropäische Sprache, und nähern sich gern dem "Nordischen" an - ihren Brüdern und Schwestern, den Finninnen und Finnen, und Skandinavien eben.

Nun wollen offenbar Lettland und Litauen ein Zeichen setzen - und suchen "den besten Balten". Die beiden Außenministerien, das litauische wie das lettische, wollen damit auf den 22. September hinweisen - den von beiden Ländern inzwischen festgelegten "Tag der Baltischen Einheit" (siehe Blogbeitrag). Auf dass dieses Datum nicht nur eine Art romantische Erinnerung an verlorene Zeiten und Chancen sei (hätten wir nur damals so weitergemacht, so einig!), sondern neuen, aktuellen Sinn ergebe. Der "Baltische Preis" ("Balt's Award" / "Baltų apdovanojimas" / "Baltu balva"). Linguisten, Historiker, Journalisten oder Übersetzer seien damit besonders angesprochen - vermutlich besonders solche, die insbesondere zusammen mit dem "baltischen" Nachbarn wirken.

Künftig also: "der beste Balte" - im litauisch-lettischen Sinne (die Bezeichnung "Baltų apdovanojimas" als "Weißen Preis" zu übersetzen wäre vielleicht nicht angemessen). Öffentlich geehrt, die Ausgaben für das Preisgeld von 3000 Euro wollen sich die beiden zuständigen Ministerien teilen. Bis zum 31. Mai werden Vorschläge gesammelt, am 22.9. soll erstmals geehrt werden. Kommunikationssprache ist dabei - baltisch neutral - ausschließlich Englisch. Die Vergaberichtlinien sind im Internet abrufbar. Demnach soll eine zehnköpfige Jury über die Vergabe entscheiden - in geheimer Abstimmung. Mit welcher Mehrheit, in wie vielen Wahlgängen - das ist nicht festgelegt.Bleibt abzuwarten, ob dies eher - wie in so vielen anderen Fällen - ein Hilfsmittel zur Prestigeerhöhung der sowieso Bevollmächtigten sein wird; ob also wieder Präsident/innen, Stars des Kulturlebens, Politiker/innen geehrt werden, oder vielleicht mal die eher unbekannten, aber umso aktiveren Individualisten, Nichtregierungsorganisationen, Unberufene. Die Jury und die Ministerien werden es entscheiden.

23 März 2018

Durchreisende Kickerfreunde

In Litauen steht die Fußballweltmeisterschaft an. In Litauen? Bekanntlich schied das Fußballteam Litauens in der Qualifikation zur Weltmeisterschaft in Russland sang- und klanglos aus. Aber, wer genau hinschaut, wird feststellen: die WM 2018 findet nicht nur in Zentral-Russland statt, sondern eben auch in Kaliningrad. Wer Fußballfan ist, und diese Spiele besuchen möchte, wird meist nicht anders können - als durch Litauen zu reisen.

So wird also am 16. Juni das Spiel Kroatien gegen Nigeria, am 22. Juni Serbien gegen die Schweiz, am 25. Juni Spanien gegen Marocco, und auch am 28. Juni das Spiel England gegen Belgien im Stadion von Kaliningrad stattfinden. Dafür spendierten die Organisatoren der Stadt ein völlig neues Stadion mit einem Fassungsvermögen von 35.000 Zuschauern, nach der WM soll hier dann der FC Baltika Kaliningrad spielen. Das Stadion sollte eigentlich am 22.3. auf Wunsch des russischen Konzerns GAZPROM, durch ein Gastspiel des FC Schalke 04 eröffnet werden - das verhinderten aber die derzeit in Kaliningrad herrschenden arktischen Minustemperaturen (siehe "Kicker").

Derweil haben litauische Stellen ganz andere Sorgen, wie ein Bericht der "Baltic Times" zeigt. Einerseits gibt es Vereinbarungen zwischen litauischen und russischen Behörden, die Anzahl der Transitzüge während der Fußball-WM zu verdreifachen: viermal täglich wird es dann Verbindungen geben, für bis zu 2400 Gäste. Aber reicht das aus? Remigijus Motuzas, Botschafter Litauens in Russland, äußerte die Annahme, viele Fans würden auf das Angebot kostenlosen Zugtransfers zurückgreifen, wenn sie erstmal in Russland angekommen seien und im Besitz von Tickets für Spiele in Kaliningrad sind. Wegen des freien Bahntransfers sei es einfacher, über Moskau nach Kaliningrad zu reisen.
Die WM-Organisatoren bemühen sich (sprachlich noch
verbesserungsbedürftig) um Infos für Zugreisende


Schwieriger wird es werden für Reisende, die ein Visum für die Durchreise durch Litauen benötigen - so zum Beispiel Fans aus Nigeria oder Marokko, die ihre Mannschaften in Kaliningrad erleben wollen. Renatas Pozela, Chef der litauischen Grenzpolizei, äußerte zudem die Hoffnung dass es nicht zu illegalen Grenzübertritten komme. In der englischen Presse sind Reisetipps zu lesen, die für Kaliningrad-Reisende preisgünstige Flüge entweder über Gdansk (Danzig) oder das litauische Palanga empfehlen. Wie der Ablauf bei den PKW-Reisenden aussehen wird - alle beteiligten Behörden hoffen auf einen reibungslosen Grenzverkehr.
Transitverkehr Moskau-Kaliningrad per Zug: noch sind Plätze frei!

18 März 2018

Von toten Pferden, notwendigen Paten, und neuem Aufbruch

Litauen hat sich etabliert auf dem deutschen Buchmarkt. Warum? "Vielleicht, weil die Deutschen immer schon die Kurische Nehrung kannten," bekomme ich am Litauen-Stand in Leipzig zu hören. Allerdings: warum wurde Litauen so lange aus deutscher Sicht ignoriert, wenn denn die Kurische Nehrung angeblich so bekannt war?

Litauen-Diskutanten in Leipzig 2018: Journalist Gregor Dotzauer,
Verleger Sebastian Guggolz,
Matthias Weichelt (Sinn und Form),
und Torsten Ahrend (Wallmann-Verlag)
Nein, keine Sorge, von Thomas Mann war an dieser Stelle nicht schon wieder die Rede. 2017 war Litauen-Schwerpunkt auf der Buchmesse Leipzig - ein sehr sonniges Wochenende war es übrigens - und 2018 war Nachbereitung angesagt (bei heftigem Schneeregen draußen). "Hilft der Gastland-Titel beim Bücherverkauf?" so das Thema einer halbstündigen Diskussionsrunde.

Von Pferden war die Rede. Nein, nicht von Tiertransporten aus Litauen, sondern von denen die anderen zum Erfolg verhelfen sollen: die Zugpferde. Vor allem Tomas Venclova wurde hier strapaziert - nicht ohne die besorgte Nachfrage, ob Venclova überhaupt in Litauen genauso beliebt sei wie im Ausland.

Pate Venclova

Es diskutierten: zwei Journalisten, die 2017 in den Genuß einer kostenlosen Geschäftsreise ins Buchmessen-Gastland spendiert bekommen hatten, und zwei Verleger, von denen aber nur einer ein (in Worten: ein) Buch eines litauischen Schriftstellers herausgegeben hatte. Ob auch tote Pferde taugen - wurde der Verleger gefragt, denn Antanas Škėma, der Autor eines der 2017 über 30 neu erschienenen Bücher aus Litauen, starb schließlich bereits 1961, weit entfernt von Litauen.

Litauen auf der Buchmesse Leipzig 2018
Es gibt in Deutschland eigentlich keine Vorurteile oder Klischees gegenüber Litauen, stellte die versammelte Runde gemeinsam fest. "Vielleicht noch eine Spur Sowjetvergangenheit," meint Verleger Guggolz, "aber in meiner Generation steht das Baltikum für Aufbruch." -
Baltikum? - "Ich habe vor allem gelernt, diese drei Länder zu unterscheiden," meinten Ahrend wie auch Weichelt, "die drei Länder verstehen sich gar nicht als Baltikum. Das ist vielleicht nur unser grober, deutscher Blick." - Eine Erkenntnis, die allerdings offenbar nicht durchs Bücherlesen gewachsen ist, sondern durch "unser Privileg nach Litauen reisen zu dürfen".

Litauisch-lettische Geschwister

Ahrend erzählt anschließend von der Litauerin Irena Veisaite, die er als "Schwester von Valentina Freimane" bezeichnet (deren Buch 2015 im Wallstein-Verlag erschien). Oha, sensationelle neue kulturelle Verwandschaften? Nun ja, es ist wohl als eine kleine Rechtfertigung gemeint, denn in seinem Verlag erschien 2017 kein einziges der vielen neuen Litauen-Bücher. Ein Buch von Veisaite, das stehe nun aber bevor.
Gibt es eine "Literatur der Region"? fragt Moderator Dotzauer in die Runde, nicht ohne in seiner Frage tatsächlich den direkten Vergleich von "Balkan" zu "Baltikum" ziehen zu wollen und damit den vorher von den Kollegen so betonten Erkenntnisgewinn zu den Unterschieden wieder in Frage zu stellen. Guggolz weist auf den gemeinsamen Schwerpunkt der Buchmesse London hin - immerhin treten dort alle drei baltische Staaten gemeinsam auf. Guggolz wie auch Ahrend nutzten die Gelegenheit, auch ihre nächsten Buchprojekte zum Thema Estland gleich mit zu bewerben: "da geht es auch um Heimat, Nostalgie, Aufbruch und Verlorenheit".

Abschlußbild mit litauischen und deutschen Beteiligten
Immerhin durfte jeder der Podiumsgäste zum Abschluß noch ein paar andere seiner Litauen-Lieblingsbücher nennen - sonst wäre diese halbe Diskussionsstunde fast zu reiner Ankündigungs-rhethorik der jeweiligen Verlagsprojekte geworden. So kam auch Jonas Mekas noch zu Ehren, und sogar Ričardas Gavelis, dessen "Vilnius Poker" allerdings immer noch nicht auf Deutsch vorliegt.

Litauen - kaum zu toppen!

Jedenfalls auch die finanzielle Unterstützung der Übersetzungen sei reibungslos, das betonten die auf dem Podium vertretenen Verleger. Wie überhaupt der Buchmessen-Auftritt Litauens 2017 sensationell gut gelaufen sei. Sebastian Guggolz meinte sogar: "Es wird schwer sein, den litauischen Auftritt zu übertreffen!" Für ein Land von der Größe von Litauen sei Leipzig zudem besser gewesen als etwa Frankfurt. Die Zuständigkeiten seien sehr klar geordnet gewesen, und immer habe er Unterstützung von vielen Seiten gespürt, und auch die Zusammenarbeit mit den Übersetzer/innen sei sehr befruchtend gewesen. - Die Litauerinnen und Litauer im Publikum, besonders die Vertreterinnen des litauischen Kulturinstituts, werden es gern gehört haben.

12 Februar 2018

Singen zum Hundertsten

Eigentlich haben ja die Nachbarn Estland und Lettland die längere Tradition: ein "Liederfest", von vielen auch "Sängerfest" genannt - litauisch "Dainų šventė" - gibt es in Estland seit 1869, Lettland seit 1872. Die Geschichte der litauischen Liederfeste (Dainų šventė) beginnt 1924 - seitdem fand es 17mal statt. Hier steht das Hundertjährige also noch bevor.

2003 wurde das Liederfest gemeinsam mit den anderen baltischen Liederfesten (Estland und Lettland) von der UNESCO als Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit anerkannt und 2008 in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.

Wenn am 1. Juli 2018 das diesjährige litauische "Dainų šventė" eröffnet wird, dann soll, gemäß Programm, auch speziell auf die geschichtliche Entwicklung eingegangen werden. Nicht nur auf die 1918 erfolgreich erneuerte Selbstständigkeit Litauens, sondern die Litauer/innen definieren ihr Traditionen, mehr als die estnischen oder lettischen Nachbarn, international verwurzelt. Also ist auf dieser litauischen Geschichtstafel manches bunte zu finden:
- das Erste Eidgenössische Sängerfest in Zürich / Schweiz des Jahres 1843, das mit 80 Chören und 2100 Sänger/innen als der erste der Welt gilt;
- ein Sängerfest in Würzburg im Jahr 1845, eine Tradition die selbst in Deutschland eher unbekannt ist (hier soll unter anderem die Landeshymne Schleswig-Holsteins zum ersten Mal erklungen sein);
- das erste "baltische" Sängerfest in Tartu (Dorpat) 1869, Die Litauer nennen auch vier litauische Komponisten, deren Lieder während der estnischen Sängerfeste der ersten Estnischen Unabhängigkeit dort aufgeführt wurden: Domas Andrulis, Eduardas Balsys, A. Andriulis und Zigmas Venckus;
- das erste lettische Sängerfest 1873, aber besonders das Lettische Sängerfest 1931, an dem auch 100 Gäste aus Litauen teilnahmen;
- 1895 als das Jahr, in dem der erste litauische Chor, und auch die erste litauische Sängervereinigung gegründet wurden;
- der Komponist Stasys Šimkus soll dann 1909 zum ersten Mal mehrere Chöre eingeladen haben zu einer gemeinsamen Aufführung. Die Idee zur Schaffung eines litauischen Sängerfestes scheiterte damals noch am Ausbruch des 1.Weltkriegs.
- 1924 war dann der Boden bereitet für die ersten "Tage des Liedes".

Interessant nachzulesen sind auch die Aktivitäten der sowjetlitauischen Zeit. Ob 1946 wirklich fröhlich gefeiert werden konnte ist unklar - wo doch manche noch hofften, Litauen könnte sich wieder vom sowjetischen Zugriff befreien, und viele andere waren nach Westen geflohen. Aber 1946 gab es erstmals einen Wettbewerb der Chöre untereinander, seitdem ist so ein Chörewettstreit schon traditionell. Mit dem Liederfest 1950 spielte sich ein vorübergehender Fünfjahres-Rhythmus der Liederfeste ein. Ab 1955 wurde mit “Skambėk, daina” ("Klinge, Lied") auch eine eigene Zeitschrift zum Festival herausgegeben - insgesamt erschienen 47 Ausgaben. Die 1960 fertiggestellte Liederfestbühne im VingisPark erstellten estnische Architekten - der Ort wurde später auch Bühne für so manche Kundgebungen zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit. Seit dem Jahr 2000 ist die Organisation der litauischen Liederfeste durch Regierungsentscheidung abgesichert - seit 2007 sogar mit einem speziell geschaffenen Gesetz.

Etwa 37.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden im Juli 2018 wieder zum Liederfest erwartet. 

25 Januar 2018

Brex-Lit für Zehntausende

Mit 170.000 Litauerinnen und Litauern, die in Großbritannien registriert sind, bildet Litauen die zweitstärkste Gruppe von Ausländern im Vereinigten Königreich, nach Polen. Insgesamt seien es 1,4 Mill. Menschen aus Osteuropa, darunter 916.000 Polen (Guardian). Das britische Office for National Statistics (ONS) stellt in einer aktuellen Studie außerdem fest, dass die britische lebensmittelverarbeitende Industrie am meisten von Arbeitskräften aus dem EU-Ausland abhängt: bis zu 25%. Die Arbeitslosenquote stellte das Institut mit 4,3% fest.

Immerhin haben "Litauer in Großbritannien" ja auch schon einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Inzwischen aber ist die Einwanderung nach Großbrittannien auf ein Rekordtief gefallen (so berichtet der "Telegraph"). Es kamen 2016 aber noch 248.000 - während Prime-Ministerin Theresa May mal davon sprach, sie strebe eine "Obergrenze" von 100.000 an. Was die "EU8” angeht - dazu zählen die Briten Tschechien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei und Slowenien - so fielen die Zuwandererzahlen um 25.000 auf 48.000, während die Zahlen der Rückwanderung in diese Länder um 16.000 auf 43.000 stiegen (im Jahr 2016).

Auch die englische Presse interessiert sich für Litauen. Einen aktuellen Bericht aus Litauen bringt der "Economist" -  aus Panevežys im Norden Litauens. 40 Arbeitsplätze habe dort ein norwegischer Investor im Bereich Textil geschaffen - er findet aber nicht genügend Mitarbeiter. Es gebe nur noch halb soviel Studierende in seiner Gemeinde, wird der Bürgermeister zitiert; Fachleute sagen daher den Litauern ein um 3-4% geringeres Bruttosozialprodukt für 2030 voraus, als es ohne die starke Arbeitsemigration der Fall wäre.
Berichtet wird auch über staatliche Programme, litauische Experten ins Land zurückzuholen ("Kurk Lietuvai" / "Create Lithuania"). Milda Darguzaite, eine der Programmverantwortlichen erzählt, das Programm habe 100 litauische Expert/innen zurückholen können - im Laufe von 5 Jahren. Unter diesen Rückkehrern sei ein Politiker, ein stellvertretender Bürgermeister und mehrere Berater des Regierungschefs gewesen; die Ärzte oder Ingenieure zurückzubringen, das sei weitaus schwieriger.


"Let's move to Wisbech" - diese Aufforderung scheinen besonders Litauer/innen gehört zu haben. Die kleine, mittelenglische Markt- und Hafenstadt an der Ostküste gilt als einer derjenigen Orte, wo viele Litauer/innen leben (bis zu 5.000, bei 28.000 Einwohner / The Sun). Als "Little Lithuania" bezeichnete es 2014 die örtliche Zeitung "Wisbeck Standard". Auch Polen und Rumänen prägen den Ort - aber damit sei keine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit damit verbunden, urteilten die meisten Zeitungsleser. Allerdings in der Stadt bei den vergangenen Wahlen ein starker Zuwachs der Anti-EU-Partei UKIP zu beobachten gewesen. Im Oktober 2017 gab es dann den Fall eines Litauers, der erst seine Frau zu Tode geschlagen haben soll, und dann schlafend in einem Zelt im Wald nahe Wisbech festgenommen wurde. Litauer als Thema in der britischen Öffentlichkeit - inzwischen keine Seltenheit mehr.

Wie wird es mit den Litauern unter den Briten weitergehen? "Auch der Brexit hat nichts daran geändert, dass Litauen eine der am stärksten schrumpfenden Bevölkerungen in der EU hat," schreibt das Portal Bloomberg. Offenbar haben sich im Ausland an verschiedenen Orten litauische Gemeinschaften gebildet, die einfach den Zustrom aufrechterhalten und vereinfachen, vermutet dieser Bericht. Einem Beitrag bei "Euroaktiv" zufolge überlegt gegenwärtig die litauische Regierung, im Ausland lebenden Litauern unter gewissen Bedingungen eine doppelte Staatsbürgerschaft zu erlauben. "Wir wollen diese letzte Verbindung zum Heimatland nicht zerstören", wird Regierungschef Skvernelis zitiert.